zurück

Zur Eröffnung der Ausstellung 
"Nichts mehr zu sagen und nichts zu beweinen. 
Ein jüdischer Friedhof in Deutschland." 
Aschaffenburg, 8. November 1998, 
im Lichthof des Rathauses, 18:00 Uhr

 

Meine Damen und Herren, sehr geehrte Gäste, Herr Oberbürgerbürgermeister, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Freunde,


die VIPs unter Ihnen werden mir sicher nachsehen, wenn ich sie nicht im Einzelnen begrüße, sondern Sie alle zusammen hier im Namen der Veranstalter und Veranstalterinnen gleich herzlich willkommen heiße zur Eröffnung der Ausstellung "Nichts mehr zu sagen und nichts zu beweinen. Ein jüdischer Friedhof in Deutschland".

Ich bin Lehrer an einer Grund- und Hauptschule im Landkreis Aschaffenburg und führe die Geschäfte der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft im Bezirksverband Unterfranken. Mein Name ist Reinhard Frankl, wie Sie vielleicht erkennen, kein Name hier aus Franken, sonder ein Wiener Name, ein jüdischer Wiener Name.

Mein Wiener Großvater Ludwig A. Frankl verlor als Jude seine vom Vater übernommene "Hofschneiderei". Als er 1943 von den Nazis deportiert werden sollte, konnte er Dank des mutigen Protestes seiner Tochter unter Hinweis auf die nationalen Verdienste als Kriegsveteran aus dem Sammellager herausgelöst werden. Die Frauen konnten solche Verdienste nicht vorweisen. Seine damals 80-jährige Mutter wurde nach Theresienstadt deportiert, seine Schwester Käthe in ein Vernichtungslager bei Kiew verschleppt. Von Bekannten ist der Familie die Nachricht übermittelt worden, die Mutter sei an Herzversagen gestorben, mehr wissen wir von beiden nicht.

Mein Vater Ernst-Immo Frankl war als sogenannter Halbjude ab November 1944 in ein Lager in Thüringen zur Zwangsarbeit eingezogen. Er befand sich auf einem Transport von dort in das KZ Flossenbürg, als er am 13. April 1945 von amerikanischen Truppen befreit wurde.

Als er Anfang der sechziger Jahre verstarb, zitierte der Pfarrer an seinem Grabe aus seinem Lebenslauf, und eben genannter Lebensabschnitt liest sich - wohlgemerkt Anfang der sechziger Jahre - folgendermaßen: "Nach vorübergehender Abwesenheit während der letzten Kriegsjahre kehrte ich nach der Kapitulation nach Aschaffenburg zurück ..." - "Nach vorübergehender Abwesenheit", ja an anderer Stelle übernimmt er die perverse Formulierung seiner faschistischen Verfolger. Dort heißt es: "auf Grund ... Aufgaben von besonderer staatspolitischer Bedeutung". Dieser Mann war auch fünfzehn Jahre nach dem Holocaust nicht in der Lage, die Dinge bei ihrem wirklichen Namen zu nennen, er hat sich immer noch des jüdischen Teils seiner Identität und seiner Verfolgung geschämt.

Morgen kehrt der 9. November 1938 zum sechzigsten Mal wieder. Sie können sicher allein aus den eben geschilderten Stationen meiner Familiengeschichte erkennen, dass mir persönlich sehr daran lag, diese viel beachtete Ausstellung zu diesem Datum hierher in meine Heimatstadt Aschaffenburg zu bringen, die von 1993 bis 97 drohte, zu einem nationalen Aufmarschgebiet für Neo-Nazis zu werden. Und ich muss zugeben, auch ein bisschen stolz darauf zu sein, dass dieser mein Anstoß nun im zweiten Anlauf realisiert werden konnte - über alle Kompromisse hinweg, die bis zuletzt gefunden werden mussten.

Kennengelernt habe ich die Ausstellung im vorigen Jahr in Würzburg, wo sie von meiner Gewerkschaft zusammen mit dem Bezirk Unterfranken und der Stadt Würzburg gezeigt wurde.

Lo tischkach! 

Ein grundlegender gewerkschaftlicher wie pädagogischer Leitgedanke der GEW war es immer, gegen das "Vergessen" der Opfer wie der Ursachen des Nationalsozialismus zu kämpfen. Der Blick zurück erscheint uns nötig, um junge Menschen so zu erziehen, dass von ihnen nie wieder Rassismus, Faschismus und Krieg ausgehen. Holocaust-Serien oder entsprechende Kino-Kassenschlager mögen einen emotionalen Zugang zur Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus eröffnen. Ich meine, wir brauchen aber die gründliche Verarbeitung, um nachhaltig die tiefliegenden Wurzeln des - wie Henryk Broder ihn nennt - "vegetativen Antisemitismus" freizulegen und eine oberflächliche Instrumentalisierung des Holocausts, wie Martin Walser sie kürzlich kritisierte, zu vermeiden. Genau dazu bietet meines Erachtens diese Ausstellung ausgezeichnet Gelegenheit: ausgehend vom konkreten, ja für uns heimatlichen Bezug der steinernen Zeugen eines jüdischen Friedhofs in Unterfranken führt sie dem wichtigen didaktischen Prinzip der Personalisierung folgend zu den Ereignissen im November 1938. Weiter geht's im Rückwärtsgang durch die Zeit, d.h. auch im Verzicht auf jede Eile, im Verzicht auf jede "action" und jede Melodramatik, die oft die wirkliche Dramatik der Geschehnisse bzw. der Geschichte verdecken.

Diesen Weg greift auch die Broschüre auf, auf die ich an dieser Stelle aufmerksam machen möchte. Herausgegeben vom GEW-Kreisverband Würzburg hat sie Kollege Jörg Nellen dankenswerterweise für die Ausstellung hier in Aschaffenburg angepasst. Sie gibt dem Geschichtspädagogen nach modernen didaktischen Gesichtspunkten aufgearbeitetes Projektmaterial in Form eines Freiarbeitsbaukastens an die Hand.

Folgen wir damit den Passagen der Ausstellung immer weiter zurück durch die Zeitgeschichte, erhalten wir eine Lektion über das enge Beziehungsgeflecht der sogenannten christlich-abendländischen mit der jüdischen Kultur, ja ich möchte sagen, eine Lektion über monokulturelle Ideologie und multikulturelle Realität.

Und hier sind wir wieder in der Gegenwart angelangt:

Wir erhoffen uns, durch die Veranstaltung dieser Ausstellung in Aschaffenburg einen kleinen Beitrag zur Herstellung einer Normalität zu leisten, in der wir einmal ohne Demütigung und ohne Überheblichkeit, ohne Hass und ohne Fanatismus, ohne Selbstherrlichkeit und ohne Scham über den jüdischen Teil unserer Identität sprechen werden können.

Bis dahin gilt es noch aufzuarbeiten und aufzuhalten, was uns diese Ausstellung fast plastisch vor Augen führt:


Zerstörung

Churban


Zersprengt und zerschlagen,

mit Gewalt zerbrochen liegt

das zum Gedenkstein,

zur Gedenkplatte gewordene

Taharah-Brett eines Tages vor dir.

Du siehst die Kalksteinbrocken,

mit denen sie die Mazewah, das

Denkzeichen gegen die Barbarei

zerstörten,

du hörst das Bersten.

Es ist nicht die rohe Tat selbst,

die entsetzt,

nein, es ist die Energie des

Gemeinen,

der Fühllosigkeit fremdem,

anderem Schicksal gegenüber,

der Haß, der aus solchen Taten

atmet und dir die Kehle abschnürt,

sich wie ein Alp auf die Brust setzt.

Und doch:

Wir wissen,

daß diese Dinge geschehen,

daß es eine Minderheit gibt,

die immer zu solchem fähig ist.

Das Schlimmere aber ist

die Teilnahmslosigkeit,

die Gleichgültigkeit,

die zusieht oder wegschaut.

So, wie man vorher

gesehen und nicht gesehen,

gewußt und doch nicht

gewußt haben wollte:

Das ist der Skandal.


Bevor ich nachher das Wort an denjenigen übergebe, der diese Zeilen schrieb - sie sind im Übrigen im hier erhältlichen Ausstellungs-Katalog nachzulesen -, möchte ich nicht vergessen, darauf hinzuweisen, dass Schaffen und Engagement derer, die diese Ausstellung kreierten, nicht brotlos sein können und dürfen. D.h. klipp und klar: ohne den finanziellen Rahmen, den der Verein Schule und Erziehung Aschaffenburg zur Verfügung gestellt hat, wäre diese Ausstellung hier nicht möglich gewesen. Für den "Rest" (in Anführungszeichen!) haben die anderen MitveranstalterInnen gesorgt: der Deutsche Freidenkerverband, die Initiative gegen Rechtsradikalismus und Ausländerhass in Aschaffenburg, der Förderkreis "Haus Wolfsthalplatz" und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft.

Unser Dank gilt natürlich auch OB Dr. Willi Reiland, der ohne zu zögern die Schirmherrschaft über die Ausstellung übernahm und uns dieses gastliche, renommierte und so hervorragend geeignete "Dach über dem Kopf" im Herzen der Stadt Aschaffenburg zur Verfügung stellte.


(Grußworte des Schirmherrn, OB Dr. W. Reiland)


Ihrem eigenen Urteil über das kunstvolle Handwerk des Ausstellungs-Machers Christian Reuther will ich nicht vorgreifen. Doch möchte ich hiermit sein mutiges Engagement hervorheben, Ausstellungen in Deutschland gegen das Vergessen zu machen, womit man sich ja nicht nur Lob einholt, wie wir an der Polemik gegen seine Wehrmachtsausstellung sehen. Er wird nachher beim Rundgang sicher gerne Ihre Fragen beantworten.

Zu Ihnen sprechen wird nun Herr Michael Schneeberger, aktives Mitglied der jüdischen Gemeinde in Würzburg, verantwortlich vielleicht mehr für den schriftstellerischen und den Rechercheteil dieser Ausstellung, wenn man diese Gemeinschaftsarbeit überhaupt in Zuständigkeitsbereiche teilen kann.

 zurück