Stete Tropfen und Steine: Reformpädagogische Unterrichtsmethoden am Gymnasium

Seit 1996 organisiert die GEW Unterfranken mit der Dienststelle des Ministerialbeauftragten Fortbildungen

Von Jörg Nellen

Das Gymnasium in Bayern entdeckt offene Unterrichtsmethoden. Das ist ein mühsamer Prozess, der regional höchst unterschiedlich weit gediehen ist und am Einsatz Einzelner liegt. Die zehnte regionale Lehrerfortbildung "Reformpädagogische Impulse für das Gymnasium" seit 1996 wurde jetzt in Unterfranken von der GEW und der Dienststelle des Ministerialbeauftragten durchgeführt. Insgesamt etwa 400 Lehrkräfte wurden damit erreicht. Auch die jüngsten Kurse waren wieder überbucht, sodass der weitere Bedarf an Fortbildungen zum Thema deutlich dokumentiert ist.

Stete

Die Veranstaltungen sind von Wolfram Thom angeregt und die ersten vier auch von ihm als Referenten gestaltet worden. Es ging von Beginn an um mehr Methodenvielfalt am Gymnasium. Der lehrergeführte Frontalunterricht soll ergänzt werden durch Freiarbeit, Stationenlernen, Projektunterricht und andere offene Lehrformen. Die häufigste Frage der Lehrkräfte war dabei die nach der Umsetzbarkeit der Methoden im eigenen Fach. Daher wurde die zweite Runde an "Leitfächern" aufgehängt: Es wurde von Deutsch, Mathematik und Geografie ausgegangen, um die Methoden zu vermitteln. 1999 fanden vier Fortbildungen, 2000 bisher zwei statt. Grundsätzlich wurden Schulteams von mindestens zwei Personen eingeladen, um die spätere Umsetzung zu erleichtern.

Tropfen - zweimal

Die folgenden Fortbildungen zu den Leitfächern Deutsch und Mathematik mussten 1999 und 2000 wiederholt werden, und dennoch konnten nicht alle Meldungen berücksichtigt werden. Die Veranstaltungen zu kreativem Umgang mit Texten und freiem Schreiben war GEW-spezifisch Schulart übergreifend besetzt. GEW-Kollegin Dr. Marianne Wintergerst zeigte aus ihrer großen Schulspielerfahrung auf, wie sich Dramenanalyse und spielerische Umsetzung ergänzen: Drei Dramen aus verschiedenen literarischen Epochen sollten von Gruppen von 4-5 Schülerinnen und Schülern der Oberstufe im Hinblick auf Personencharakteristik, Handlungsführung und die Ausgestaltung des Motivs "Liebe und Mord" untersucht werden. Die Ergebnisse wurden protokolliert und den anderen Gruppen zugänglich gemacht. Eine dramenübergreifende, kreative Gestaltungsaufgabe, die allen vorgestellt wurde, belegte abschließend die "Aneignung" des literarischen Stoffes durch die Teammitglieder.

GEW-Kollegin und Grundschullehrerin Claudia Ströder hat ihre in Unterfranken bekannte Kompetenz der Anleitung zu Freiem Schreiben eingebracht. Sie zeigte an einfachen Schreib- oder Wortspielen und in einer aufwändig gestalteten Atmosphäre von Schreibanlässen, wie Schülerinnen und Schüler persönliche Mitteilungen "an mich selbst" oder andere erstellen. Dabei steht der zu kreativer Textproduktion anregende Anlass im Vordergrund. Die Möglichkeit der Präsentation der Ergebnisse sollte ohne Angst vor Kritik ermöglicht werden.

Dr. Hans Steidle ließ im ersten Kurs in seiner "Schreibwerkstatt" Gedichte kreativ verändern und ein japanisches Kurzgedicht (Haiku) zu Thema "Winter" erstellen, wobei der kalte Arbeitsraum ungeplant stimulierend wirkte. Im zweiten Kurs erarbeitete er die Analyse von Kurzgeschichten mit Hilfe eines Arbeitsplanes. Dabei sollte eine intensivere Texterfassung durch einen produktionsorientierten, kreativen Umgang mit den Vorlagen angeregt werden, etwa durch Umsetzung einer Kurzgeschichte in ein Hörspiel, eine Textcollage, Theaterstück, Video oder eine Serie von Illustrationen.

Reformpädagogische Methoden im Leitfaches Mathematik stellten Jutta Möhringer und GEW-Kollegin Renate Prinz vor, die als Mulitplikatorinnen in Dillingen ausgebildet wurden und auch an dem dort erstellten Akademiebericht "Freies Arbeiten am Gymnasium, Band 2, Materialien mit Anregungen für die Durchführung im Fach Mathematik" mitgearbeitet haben. Sie stellten in zwei Kursen umfangreiche Materialien vor und erklärten daran die Prinzipien materialgeleiteter Freiarbeit. Außerdem wurden zwei Lernzirkel vorgestellt, einer zur Volumenberechnung bei Quader und Würfel und einer zu Berechnungen an Pyramiden. An den vorgestellten Beispielen konnte man erfahren, dass Mathematik durch das Lernen mit allen Sinnen anschaulich und erlebbar wird.

Tropfen – einmal

Aus terminlichen Gründen konnten trotz doppelt hoher Nachfrage die folgenden Fortbildungen in den Fächern Deutsch und Geografie bisher nur einmal angeboten werden. Eduard Kucharzewski, GEW-Kollege und Leiter der Lernwerkstatt am Gymnasium Stein führte am Beispiel eines Lernzirkels "Romantik" in die fächerübergreifende, alle Sinne ansprechende Theorie des Lernzirkel-Lernens ein. Die Teilnehmenden erarbeiteten aus mitgebrachten Materialien selber Lernzirkelkonzepte, die später allen zur Verfügung gestellt werden sollen.

An einem außerschulischen Lernort wurden reformpädagogische Unterrichtsmethoden und Lernziele am Leitfach Geografie im Schullandheim Bauersberg bei Bischofsheim in der Rhön vermittelt. Anette Berger demonstrierte an einem Übungszirkel "Topografie" die selbsttätige Überprüfung wesentlicher Techniken der Geografie mit hohem Aufforderungscharakter, wie Kartenarbeit und Orientierung im Raum. Dr. Peter Pfriem, Universitätsdozent und Hauptschullehrer, und Christa Jandausch vom Arbeitskreis Studienhaus stellte das "Studienhaus Geografie" vor. Mit Karten, Arbeitsanleitungen, Computer, Kopierer und Arbeitsmaterialien ermöglicht es eine umfassende, fächerübergreifende und handlungsorientierte Erschließung des Naturparkes Rhön im Rahmen eines Schullandheimaufenthaltes. Dazu gehören der Bau von Wald- und Höhenlinienmodellen, Versuche zur Vulkanologie und Gesteinskunde, Wetterbeobachtungen und Orientierungsübungen mit dem Kompass.

Steine

Jede Veranstaltung wurde mit einer Rückmelde-Runde und einer anonymen Fragebogenaktion ausgewertet. Darin wurde eine überdurchschnittliche Zufriedenheit mit der Organisation der Fortbildung und der Kompetenz der Dozentinnen und Dozenten geäußert. Im Gegensatz zu 1996 waren 1999 und 2000 mehr Teilnehmende zumindest theoretisch über reformpädagogische Unterrichtsmethoden vorinformiert. Einige wenige hatten sogar zum Teil weitreichende praktische Kenntnisse. Dies lässt auf eine zunehmende Verbreitung reformpädagogischer Ideen am Gymnasium schließen, ohne dass zu Euphorie Anlass besteht. Einer breit angelegten Ergänzung des traditionellen gymnasialen Frontalunterrichtes durch handlungsorientierte und selbstverantwortete Unterrichtsmethoden stehen einige Erschwernisse entgegen:

Daher sollten folgende Hilfestellungen den engagierten Kolleginnen und Kollegen das Beschreiten neuer Wege erleichtern:

In Unterfranken ermöglicht eine aufgeschlossene Schulaufsicht, dass im Gymnasium stete reformpädagogische Tropfen den harten Stein der gymnasialen Rahmenbedingungen allmählich erweichen.

 

Kasten:

Information und Material aus den Fortbildungen:

Jörg Nellen, Röntgenring 5, 97070 Würzburg, Tel. (0931) 1 22 04, gewwue@aol.com.

Wolfram Thom, http://www.wolfram-thom.de

Netzwerk Freies Arbeiten: http://alp.dillingen.de/projekte/freiarbeit

Adresse: Schullandheim Bauersberg, 97653 Bauersberg, Tel. (09772) 81 30 oder 18 31

Literatur:

Freies Arbeiten – Reformpädagogische Impulse für Realschule, Hauptschule, Gymnasium (21998)

Akademiebericht Nr. 329, Freies Arbeiten am Gymnasium Band 1: Deutsch (1999)

Akademiebericht Nr. 330, Freies Arbeiten am Gymnasium Band 2: Mathematik (1999)

Akademiebericht Nr. 331, Freies Arbeiten am Gymnasium Band 3: Biologie (1999)
Bestellungen: Akademie für Lehrerfortbildung und Personalführung, Dillingen, Bestell-Hotline: 09071-52-222, Fax 09071-53-200

 

Bildunterschrift:

  1. Das Studienhaus Geografie des Schullandheimes Bauersberg ermöglicht handlungsorientiertes Lernen außerhalb des Klassenzimmers: Gesteinsprobe mit dem Schneidbrenner.
  2. Freies Arbeiten im Fach Mathematik