Pressemitteilung vom 09.09.1998
Unterfänkische Bildungsbilanz alarmierend

Der unterfränkische Bezirksverband der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) blickt besorgt in die Zukunft der unterfränkischen Bildungseirrichtungen. "Die Rahmenbedingungen haben sich dramatisch verschlechtert.", sagte der Sprecher der unterfränkischen GEW und Würzburger Kreisvorsitzende Jörg Nellen.
So seien die Schülerzahlen laut Kultusministerium seit Mitte der achziger Jahre um 29% in den Hauptschulen, 33% an den Grundschulen, 42% an Realschulen und sogar um 62% in den Volksschulen für Behinderte gestiegen. "Aber es wurden nur 15% neue Lehrer eingestellt.", so Nellen. In Unterfranken fehlen nach GEW-Berechnungen 2000 volle Lehrerstellen, allein um den Versorgungsgrad von 1990 wieder herzustellen. "Die Münchner Bildungspolitiker machen das Lernen heute schwerer als vor acht Jahren.", mahnt Nellen. "Eine klare Benachteiligung der jungen Generation."
Aus wahltaktischen Gründen werden die Klassen über dreißig weggeschminkt, dafür steigen aber die Klassen mit mehr als 25 Kindern. Letztes Schuljahr gab es allein an den unterfränkischen Volksschulen 1754 solcher Mammutklassen, das ist fast jede zweite (41,8%).
Wie die Leistung einer Klasse auch, wird die Leistung eines Bildungssystems an den Stärksten und an den Schwächsten gemessen. Auch da liegt Unterfranken mit ganz Bayern hinten: Die Übertrittszahlen ans Gymnasium sind die geringsten in Deutschland. "Sind bayerische Schüler blöder als mecklenburgische?", fragt Nellen. Die, die es ins Gymnasium schaffen, sitzen in riesigen Klassen (durchschnittlich 27,5) vor steinalten Lehrern. Und die Hürden wachsen noch: Der bisherige Schnitt von 2,33 soll nur noch zum Besuch der Realschule berechtigen. Ins Gymnasium kommt nur, wer 2,0 erreicht. "Da haben wir dann ein richtiges Grundschulabitur am Ende der vierten Klasse.", befürchten besorgte Eltern.
Auch die Schwächsten haben es nicht leicht. In den Volksschulen Unterfrankens wurden fest eingeplante Deutsch-Förderstunden gestrichen, nachdem der Ausländerbericht der Bundesregierung einen Rückgang der Zuwanderer festgestellt hatte. Die Schulleitungen erfuhren, dass sie bis zu 10 Wochenstunden weniger zur Verfügung haben werden, am vorletzten Schultag, als alle Planungen für das nächste Schuljahr schon standen. "Diesselben Politiker, die Ausländerintegration durch Sprachunterricht fordern, streichen ihn.", so Nellen.
Die Integration von behinderten Kindern an den Regelschulen scheint auf massiven Druck der Eltern und der GEW auch in Unterfranken in greifbare Nähe gerückt zu sein. Allerdings ist zu befürchten, dass die gesetzlichen und finanziellen Voraussetzungen fehlen. Zudem sind an der Universität Würzburg zwei Wissenschaftler entlassen worden, die den Integrationsgedanken in Unterfranken vorangetrieben haben. "So bleibt alles beim Alten.", befürchtet Nellen. Eine heimliche Integration von lembehinderten Kindern bestätigt der Leiter der Förderschulabteilung in der Regierung von Unterfranken, Frey, der von 3-4 verhaltensauffälligen Kindern je Volksschulklasse ausgeht. Daran wird sich auch nichts ändern: Die Förderschulen haben mit 5000 Schülerinnen und Schülern schon im vergangenen Schuljahr ihrer Kapazitätsgrenze erreicht.
Die Zahl der Schulabbrecher ist unvermindert hoch, besonders häufig sind Jungen ohne deutsche Muttersprache in den Städten wie Würzburg odcr Aschaffenburg betroffen. "Dass Geschlecht, Herkunft und Wohnort sich so stark auf die Bildungschancen eines Kindes auswirken, ist ein Unding.", so Nellen.
Die wieder gestiegene Zahl der arbeitslosen jungen Menschen untcr 25 Jahren beunruhigt auch den Würzburger Kreisvorsitzenden des deutschen Gewerkschaftsbundes, Gert Söhnlein. Wie das arbeitsamtinterne Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung geht auch Söhnlein davon aus, dass die beim Arbeitsamt Würzburg gemeldete Zahl von 2093 arbeitslosen Jugendlichen in Wahrheit 3000 bedeutet. "Eine Trendwende ist hier höchstens zum Negativen zu verzeichnen,", so Söhnlein.
Auf den zehntausendfachen Druck der unterfränkischen Eltern, Studierenden, Schülerinnen und Schüler und Lehrkräfte hat auch die Regierungspartei die Landtagswahl zur Bildungswahl gemacht. "Die Bildungsbilanz der bayerischen Staatsregierung ist eine Katastrophe für Unterfranken.", resümiert Nellen. "An ihren Taten sollt ihr sie messen, und es reicht nicht."