Main-Post, 04.11.2003 17:27

Terror-Nacht in Würzburg

Würzburg Knapp 1000 Leute versammelten sich am 10. November 1938, früh um sieben, auf dem Kickers-Platz in der Randersackerer Straße. Martin Neff, Leiter der NSDAP-Ortsgruppe Süd, machte die Menge scharf: "Es kann alles gegen die Juden geschehen. Nur darf es keine Toten geben!"

Der Mob zog los. In drei Gruppen aufgeteilt, marschierten die Würzburger durch die Straßen der Sanderau. Zeitzeugen berichten, die meisten seien muffig und gar nicht tatenwillig gewesen; ihnen habe die frühe Zeit nicht gepasst. Einpeitscher der Partei gingen vorneweg und brüllten: "Wer hat unsere Frauen und Kinder geschändet? Wer ist schuld an unserem Unglück?" Und im Chor antworteten die Leute: "Die Juden!" und "Juda verrecke!"

Sie überfielen ihre jüdischen Nachbarn in deren Häusern und Wohnungen, zerschlugen ihre Möbel, warfen Einrichtungsgegenstände auf die Straße und verbrannte sie. In der Scheffelstraße 5 drangen sie in das Anwesen des jüdischen Weinhändler Ernst Lebermann ein. "Wo ist der Jude?", skandierten sie, und "Heraus mit dem Saujuden!" Sie zerrte den Mann aus seinem Bett heraus, schleifte ihn im Nachthemd über den Korridor und die Treppe hinunter, schlugen ihn, traten auf den verzweifelt Schreienden ein, zwangen ihn schließlich, dem weiterziehenden Zug voranzugehen und lieferten ihn zwischen neun und zehn Uhr im Gefängnis in der Ottostraße ab. Dort, in der Gemeinschaft von Leidensgenossen aus anderen Stadtteilen, brach Lebermann blutüberströmt und völlig erschöpft zusammen. Einen Tag später starb er. Zwei weitere Würzburger Juden - Claire Rosenthal und Alfred Katzmann - starben an den Folgen des Pogroms.

"Das soll ja brennen" Im ganzen Land brannten in der Nacht vom 9. auf den 10. November die Synagogen. Das Theater am Neunerplatz widmet sich am Sonntagabend den Würzburger Ereignissen in der Terror-Nacht. Ab 20 Uhr lesen Bürgermeisterin Marion Schäfer und GEW-Vorsitzender Jörg Nellen aus den Quellen des Staatsarchivs. Zu hören wird sein, wie Würzburger Bürger nach dem Kriegsende vor den Ermittlungsbehörden ihre Teilnahme an den Pogromen beschönigten. Nellen und Schäfer werden unter anderem vortragen, was der Rektor der Julius-Maximilians-Universität, Prof. Dr. Ernst Seifert, aussagte, als er sich im Januar 1950 vor der Ersten Großen Strafkammer des Landgerichts Würzburg verantworten musste. Er, dessen Reden bis 1945, so recherchierte Prof. Dr. Peter Baumgart, "einen kämpferischen, von hohlem nationalen Pathos und der Referenz vor Hitler erfüllten Geist geatmet" hatten, war dabei, als der Pöbel die Synagoge in der Domerschulgasse stürmte. Er redete sich schmählich heraus: Die Menschenmenge sei "so groß geworden, dass ein Entkommen äußerst schwierig war", er habe gar nicht teilnehmen wollen. Seifert ist als "minderbelastet" davon gekommen, wie viele seiner braunen Kameraden.

Auch in Heidingsfeld waren die Marodeure unterwegs. Sie drangen in die Wohnungen der wehrlosen Juden ein, prügelten und traten sie, zerschlugen ihren Besitz und legten Feuer. In der Stegenturmgasse zündete die Menge nachts um halb drei die Synagoge an. Sie "glich einer riesenhaften Fackel in der Hand eines Riesen", gab ein Augenzeuge später zu Protokoll. Die Feuerwehr kam, als nichts mehr zu retten war. Karl Lang, der Kommandant, beschwerte sich beim Polizeihauptwachmeister Karl Ils: "Das brennt doch schon länger und jetzt alarmiert ihr uns erst!" Ils beschied: "Beruhige dich nur, das soll ja brennen."

Kartenvorbestellung im Theater am Neunerplatz, Tel. 41 54 43, Eintrittspreis 5 Euro, ermäßigt 3 Euro.

Von unserem Mitarbeiter Wolfgang Jung