Zwischenzeugnisse
Aufwand und Auslesezwang ärgert Pädagogen

Die Zwischenzeugnisse, die am 17. Februar ausgegeben werden, haben jetzt schon zu Beschwerden Anlass gegeben. Ansgard S., die an einer Würzburger Grundschule engagiert eine dritte Klasse unterrichtet, stellt ernüchtert fest: "Die neuen Zeugnisse sollen die Kinder ausführlich beschreiben und Hilfen aufzeigen, doch beide Ziele scheitern." Das läge nicht nur am Zeitaufwand der Erstellung, der ehrlicherweise in einer Klasse mit 30 Kindern nicht zu leisten ist, sondern auch an der technischen Unzulänglichkeit des Computerprogramms, mit dem die Zeugnisse geschrieben werden sollen. Auch die vorgeschlagenen Hilfen, etwa bei Legasthenie, ADHS oder Lernproblemen, könnten nicht wahr genommen werden: "Uns fehlen schlichtweg die Fachleute, die mittel- und längerfristige Therapien leisten könnten.", sagt Ansgard S.

"Hier werden Hoffnungen geweckt, die bitter enttäuscht werden." pflichtet ihr Rudolf Brandenstein, der Würzburger Vorsitzende der Bildungsgewerkschaft GEW, bei. Die ausführlichen Schülerbeobachtungen gehören schon seit jeher zu den Dienstpflichten der Lehrkräfte aller Schularten. Anders sei eine professionelle Beratung und Förderung der Schülerinnen und Schüler nicht zu leisten. "Was aber am meisten verärgert ist die Einteilung in die vier Leistungsgruppen A bis D." Hier werde nur mühsam kaschiert die Einteilung in gut und schlecht vorgenommen, unter der das Schulsystem und damit die Kinder am meisten leiden: Die Auslese in die Schularten. Wie unsinnig diese frühe Auslese sei, zeigen auch die neuesten statistischen Befunde hinsichtlich des Durchfallens: In der 5. Klasse, der Jahrgangsstufe nach dem Schulübertritt, sei der Anteil jener, die das Klassenziel nicht erreichen, am höchsten von allen Jahrgangsstufen. "Wir brauchen endlich eine Schule, in denen Zeugnisse wirkliche Leistungsstandberichte sind, die Stärken und Schwächen aufzeigen und Hilfen anbieten. Zum selektieren für Gymnasium und Realschule bedarf es wirklich keinen neuen Zeugnisformulare," so Brandenstein. "Echte Förderung ist nur in einer Schule für alle zu leisten, die keinen durch Auslese zurücklässt oder durch Noten beschämt."
Dass es auch mit weniger Aufwand geht, zeigt das Beispiel der Goethe-Kepler-Grundschule Würzburg. Dort wurde ein eigenes, selbst erstelltes Zeugnisformular entwickelt, das von Eltern und Lehrkräften einhellig positiv eingeschätzt wird. "Bei uns wird mit allen Eltern noch ein 20-minütiges Gespräch über das Zeugnis geführt", berichtet Inge Ziegler, Lehrerin an der Kepler-Schule. Dort befürchtet man aber , dass man im nächsten Schuljahr ebenfalls die allgemein kritisierten Formulare benutzen muss.

Hintergrundinformationen (von Peter Adler, Personalrat, Aschaffenburg)

- Was ist neu bei der Erstellung der Grundschulzeugnisse?
In den empfohlenen Beobachtungsbögen wird eine Vielzahl unterschiedlicher Aspekte für jede der zu bewertenden Kompetenzen genannt. So finden sich alleine für "Soziale Verantwortung" - dies ist nur eines von 4 weiteren zu beschreibenden Lernzielen neben Kooperation, Kommunikation, Konfliktverhalten, Lern- und Arbeitsverhalten - Aussagen zu
- Hilfsbereitschaft
- Übernahme von Aufgaben und Diensten
- Umgang mit Schwächeren
- Unterstützung erkrankter Mitschüler
- Annahme anderer in Wort und Tat
- Akzeptanz des Verhaltens anderer
- Interesse für die Meinung anderer
- Berücksichtigung und Nutzbarmachung anderer Interessen im Lernprozess
- Einsatz für die Integration anderer
- Einsicht in und Einhaltung von Regeln und Absprachen
- Eintreten für aufgestellte Vereinbarungen
- Erledigung besonderer Aufgaben, wie z. B. Klassensprecher
- Berechenbarkeit und Zuverlässigkeit der Reaktionen
Die Noten in Deutsch, Mathematik und Heimat- und Sachunterricht sollen durch präzise Aussagen in Stichworten ergänzt werden. Zu den Teilbereichen, die der Lehrplan in den Fächern Deutsch und Mathematik vorgibt, werden separate verbale Aussagen getroffen. So werden zum Beispiel in Deutsch die Teilbereiche
· Sprechen und Gespräche führen,
· Texte verfassen,
· Richtig schreiben,
· Sprache untersuchen
· Lesen und mit der Literatur umgehen einzeln abgehandelt.
In Mathematik sind es die Teilbereiche
· Geometrie,
· Zahlen und Rechnen und
· sachbezogene Mathematik.
- Dazu kommt die Einteilung von Kindern nach ca. 12 Unterrichtswochen in A-, B-, C-, D-Kategorien. sie ist diskriminierend, empirisch nicht haltbar und rechtlich fragwürdig. Welche Lehrkraft konnte sich bisher in der Aus-, Fort- oder Weiterbildung diagnostische Kompetenz erwerben?
- Es ist nicht ersichtlich, dass durch den 3 bis 4mal so hohen Zeitaufwand eine erkennbare Verbesserung der Kommunikation mit den Erziehungsberechtigten entsteht.
- Zum Erstellen eines Grundschulzeugnisses braucht eine routinierte Lehrkraft ca. 2 bis 2,5 Stunden. Das Lesen dauert 5 Minuten und der Inhalt wird nur teilweise von den Eltern und schon gar nicht von den Grundschülern verstanden.
- Die vom KUMI geforderten Schülerbeobachtungen sind in der jetzt geforderten Form nicht durchführbar. Es ist in einer Grundschulklasse mit mehr als 20 Schülern nicht möglich, mehrmals täglich justiziable Beobachtungen schriftlich zu fixieren, ohne dass der eigentliche Unterricht und insbesondere das Fördern schwächerer Kinder darunter leidet. Diese Art der Beobachtungsdifferenzierung ist kontraproduktiv zum Unterricht.
- Werden aus den laienhaft erstellten "Diagnosen" Rückschlüsse über die Förderbedürftigkeit des einzelnen Kindes gezogen, so reichen schon seit langem die Fördermittel nicht aus, um die notwendigen Fördermaßnahmen durchzuführen (vgl. mit den Leistungstest in den 3. Klassen). Es fehlt an zusätzlichem Fachpersonal (Förderlehrer, Mobiler sonderpädagogischer Dienst, Sozialpädagogen, ...) und am zusätzlichen Bereitstellen von Unterrichtsstunden für spezielle Fördermaßnahmen durch den Klassenlehrer.
Ab der 3. Klasse interessiert die Eltern v. a. - meist sogar ausschließlich - nur eines: Schafft mein Kind den Übertritt in ins Gymnasium oder zur Realschule. Dafür reicht für die meisten ein Blick auf die Noten in Deutsch, Mathematik und Heimat- und Sachunterricht. Noten werden immer mehr zum Ausleseinstrument und nicht als Nachweis individueller Leistungsfähigkeit oder gar als Grundlage gezielter Förderung.