MIT  HEISSER  NADEL  GESTRICKT

Information über Neue Förderrichtlinien, Bildungs- und Erziehungsplan und Neues Kitagesetz

Der Große Saal des DGB-Hauses Aschaffenburg war am Abend des 12.01.2005 zu klein, um an die 70 Gäste - meist pädagogisches Personal aus den Kindergärten Aschaffenburg und Umgebung - zu fassen. Die Falttür zum Kleinen Saal musste geöffnet werden.

Günther Schedel-Gschwendtner, Fachreferent der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Bayern für Jugendhilfe und soziale Arbeit, ging in seinem Referat von der für 2005 geplanten Gesetzgebung in Sachen Bayerisches Kitagesetz aus. Auch wenn die dort festgeschriebene neue Finanzierung erst im Kindergartenjahr 2006/2007 greife, seien die Schatten, die negativen Auswirkungen auf Träger, Eltern und Personal, dieses vom Institut für soziale und kulturelle Arbeit in Nürnberg (ISKA) entwickelten Systems schon jetzt sichtbar. Mit zahllosen Rationalisierungsmaßnahmen betreiben Träger von Kindertagesstätten (Kitas) jetzt schon Personalabbau, um 2006 einen ,sanften' Übergang zu bekommen. Gerade in diesem Punkt spielten Staat, Aufsichtsbehörden und Spitzenverbände fast reibungslos zusammen. Der Begriff ,kindbezogenes' Fördersystem sei ein netter Slogan, hinter dem jedenfalls nur eine statistisch ermittelte Kopfpauschale für Nutzungszeiten stecke, die nichts mit dem tatsächlichen Bildungs- und Erziehungsbedarf der einzelnen Kinder und Familien zu tun habe. Die neue Finanzierung sei weder bedarfs- noch kostendeckend. Kindergärten, die bisher in Personal investiert hätten, würden deutlich bestraft. Mit dem ,Anstellungsschlüssel', der eine betriebswirtschaftliche Kennziffer für den jeweiligen Auslastungsgrad sein soll, würden bis zu 20 Prozent der bisherigen Personalkosten wegrationalisiert. Pädagogisch sinnvolle Maßnahmen könnten dann nur noch finanziert werden, wenn sie zugleich wirtschaftlich sind, das volle Betriebsrisiko trage jeweils die Einrichtung. Durch die ständige Anpassung an die betriebliche Auslastung müssten Kindergärten, Krippen und Horte jede Art der Altersmischung praktizieren, um zu überleben. Das Gleiche gelte für die so genannten Faktorenkinder (Kinder von ausländischen Eltern, Behinderte, unter 3-Jährige und Schulkinder), deren höhere Leistungsentgelte auch zu wirtschaftlichen Zwecken missbraucht werden könnten, wenn es der Einrichtung schlecht gehe. Kontrolle und Nachweise über die verwendeten Gelder sind nicht geplant, was die staatliche Aufsicht enorm entlaste. Dafür kämen auf die Kindergärten, speziell auf Träger und Leitungen enorme Mehrarbeit zu in Form von ständigem Marketing und betriebswirtschaftlicher Kalkulation.

Selbst die von den Fachkräften gehasste Doppelbelegung werde wieder salonfähig, ja geradezu notwendig, wenn es gelte, wenig belegte Zeiten abzudecken, um Personal zu halten.

Brüchig werde auch die so genannte Defizitfinanzierung durch die Gemeinden: da sie zu den freiwilligen Aufgaben gehöre, könne sie nur von wirtschaftlich gesunden Gemeinden auf Dauer geleistet werden. "Die eigentlichen Verlierer dieses Systems sind die Fachkräfte und die Träger mit ehrenamtlichen Strukturen." so der GEW-Fachreferent. Durch den Wegfall der an BAT kommunal gebundenen Personalkostenzuschüsse seien die bisherigen Löhne auf Tarifniveau aller Kindergärten akut gefährdet, zumal die freien Träger von sich aus keine echte Tarifbindung mehr anstrebten. Durch die im Gesetzentwurf vorgesehenen gewerblichen Träger sowie die Förderung von Tagespflege aus demselben Topf seien Billigangebote mit Mindestpersonaleinsatz und prekären Beschäftigungsverhältnissen an der Tagesordnung. Angesichts sinkender Einkommen könnten Eltern (aber auch die wirtschaftliche Jugendhilfe) sich eben auch für niedrige Nutzungszeiten entscheiden, was zu Personalabbau zwinge. Das neue Modell gehe fast nur nach dem rein quantitativen Kriterium der Nutzungszeit, andere fachlich entscheidende Qualitätsfaktoren wie Elternarbeit, Verfügungszeiten, Qualitätssicherung, Fortbildung oder PraktikantInnenbetreuung fehlten völlig!

Besondere Härten enthalte das neue Gesetz für freie Träger, wenn sie nicht nur Gemeindekinder aufnähmen, wie es häufig bei bestimmten Kitas (Montessori, Wald-, Waldorf-, aber auch vielen integrativen Kindergärten) der Fall ist: da die Gemeinden in eigenem Ermessen über den Bedarf an Kita-plätzen entscheiden könnten, müssten Eltern dann erst die von der Gemeinde geschaffenen Plätze in Anspruch nehmen, ihr bundesgesetzlich garantiertes Wunsch- und Wahlrecht liefe dann ins Leere! Viele Träger könnten so nicht überleben.

Der für September 2005 vorgesehene verbindliche Bildungs- und Erziehungsplan (BEP) fordere eine neue Qualität für die Bildungsarbeit der Einrichtungen und im Prinzip der richtige Weg. Er treffe aber auf eine bereits nach rein wirtschaftlichen Faktoren ausgerichtete Finanzierung und sei mit den chronisch knappen Mitteln nicht zu verwirklichen. Da der Staat aber nur die Propagandafunktion dieses Bayerischen EP im Auge habe, werde einfach behauptet, dass dies alles auch bisher schon so gemacht worden sei. Auch würden nur die Leiterinnen in äußerst kurzer Zeit fortgebildet, um der Öffentlichkeit den Anschein einer Reform zu vermitteln, es sei aber eine umfassende Fort- und Weiterbildung auf Staatskosten nötig.

Fachleute aller Fraktionen und Verbände seien sich einig, dass zuerst über die Inhalte und Methoden der frühkindlichen Bildung in Kitas und dann über die dafür angemessene Finanzierung gesprochen werden müsste. Dr. Ftenakis, der Architekt des BEP, lehnt jedenfalls im nicht veröffentlichten Umsetzungspapier entscheidende Punkte des ISKA-Modells wie Markt- und Kundenorientierung, hemmungslose Altersmischung ohne die dafür nötigen Ressourcen und eine auf bezahlten Nutzungszeiten beruhende Bildungsarbeit ab. Bei der Parlamentsanhörung babe er gesagt, dass die Bildungsarbeit in Kitas nicht abhängig gemacht werden dürfe "von dem freien Buchungsverhalten der Eltern oder von der Finanzkraft einer Kommune".

Noch ist das letzte Wort über das Bayrische Kita-Gesetz nicht gesprochen. Es liegt unter anderem auch an den Aktivitäten, die Personal, Eltern und Träger im 1.Halbjahr 2005 entfalten werden, ob und wie weit Abänderungen des Entwurfs möglich sind.

Bis zur Verabschiedung des Gesetzes sind jederzeit Petitionen an das Parlament möglich und erwünscht. Das Bündnis ,Kinder brauchen Qualität', in dem die GEW maßgeblich engagiert ist (zusammen mit anderen Verbänden, Verdi und vielen Initiativen) hat jedenfalls ein Konzept für Bildung und Finanzierung der Tageseinrichtungen für Kinder entworfen, das den Bildungsbedürfnissen von Kindern und Eltern, aber auch den Finanzbedürfnissen von Trägern Rechnung trage. In diesem Modell, für das in allen Kitas Unterschriftenlisten für Petitionen kursieren, sind neben den Personalkostenzuschüssen (ähnlich wie bisher, aber verbindlicher und an kindgerechte Personalschlüssel gekoppelt) auch Betriebskostenzuschüsse (wie in der Jugend- und Behindertenhilfe) vorgesehen. Alle Mehrkosten gehen zu Lasten des Freistaats Bayern, die Kommunen und Eltern wären deutlich entlastet und es wäre nicht mehr von der zufälligen Finanzkraft einer Kommune oder dem Geldbeutel der Eltern abhängig, ob und inwieweit dem jeweiligen Bildungsbedarf von Kindern in Kitas Rechnung getragen werde. Die GEW - auch vor Ort im Aschaffenburger Raum - werde alles in ihrer Macht Stehende tun, um bis zum Schluss Verbesserungen im Kita-Gesetzentwurf zu erreichen. "Gegen den Abbau von Qualitätsstandards und von Fachpersonal müssen wir uns auch mit gewerkschaftlichen Mitteln wehren." Günther Schedel-Gschwendtner legte den zahlreichen ErzieherInnen nahe, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Mit einem höheren Organisationsgrad könne man sicherlich auch mehr erreichen. Für die erste Lesung am 27. Januar 2005 schlug er symbolische 5 Minuten Arbeitsniederlegung in Absprache mit den Eltern am Beginn der Öffnungszeit vor.