MAIN-ECHO

2.5.1999

Gewerkschaft zwischen Kosovo und Kapital »Zurück an den Verhandlungstisch!«

1.-Mai-Kundgebung war vom Krieg in Jugoslawien überschattet ­ »Anständige Lohnerhöhung«

Aschaffenburg. Der Krieg im Kosovo überschattete am Samstag die Kundgebung des Deutschen Gewerkschaftsbundes Aschaffenburg (DGB) zum 1. Mai. »NATO-Angriffe sofort beenden! Kehrt zurück an den Verhandlungstisch!« Diese Forderungen zogen sich durch Ansprachen von Reinhard Frankl vom Friedenskomitee Aschaffenburg und von Sybille Stamm, der Landesvorsitzenden der Industriegewerkschaft Medien in Baden-Württemberg. Dahinter zurück blieben die tarifpolitischen Ansprüche nach »einer anständigen Lohnerhöhung« und nach Umverteilung.

»Arbeitslosigkeit abbauen, Einkommen verbessern und die sozialen Sicherungssysteme ausbauen sind die Kernpunkte gewerkschaftlicher Politik«, so der Aschaffenburger DGB-Vorsitzende Remo Schardt in der Begrüßung der rund 700 Gewerkschafter auf der Großmutterwiese, von denen die meisten zuvor in einem Demonstrationszug vom Schloß durch die Innenstadt marschiert waren. Allein in den Betrieben am bayerischen Untermain seien letztes Jahr 7,2 Millionen Überstunden angefallen, aus denen rund 1380 neue Arbeitsplätze geschaffen werden könnten. Die Arbeitslosigkeit vor Ort lasse sich dadurch um über zehn Prozent reduzieren.

Auf die aktuellen Tarifverhandlungen in der Textil- und Bekleidungsindustrie, in der zum 30. April die Tarifverträge ausliefen, ging Maria Greipl von der IG Metall ein. Angesichts eines schrumpfenden Anteils von Löhnen und Gehältern am Umsatz und eines Einkommensrückstands von 8,50 Mark gegenüber den Stundenlöhnen im Durchschnitt aller Industriezweige war ihr Ziel eindeutig: mehr Geld in die Taschen

der Beschäftigten und die Übernahme aller Auszubildenden.

»Ein Angriffskrieg«

»Neues Handeln für unser Land« ­ dem Leitmotiv des DGB für den 1. Mai konnte Reinhard Frankl vom Aschaffenburger

Friedenskomitee angesichts der Bilder und Nachrichten von Bombardements in Jugoslawien nur einen zynischen Beigeschmack abgewinnen.

Harte Worte fand er für die Regierung: »Etliche, die sich einmal als Teil der Friedensbewegung begriffen haben, stehen heute hinter einer Politik, die internationales Recht sowie internationale Gesetze mißachtet und einen Angriffskrieg gegen ein souveränes europäisches Land vom Zaun gebrochen hat.«

Durch vorschnelle Erklärungen des DGB-Vorsitzenden Dieter Schulte, der der rot-grünen Koalition die Unterstützung der Gewerkschaften zum Vorgehen in Jugoslawien zugesichert habe, werde das antimilitaristische Selbstverständnis der Gewerkschaften eilfertig preisgegeben. Frankls Fazit: »Die Balkanvölker können und müssen ihre Angelegenheiten selber regeln. Die NATO und die Bundeswehr haben dort nichts zu suchen.«

Eine sofortige Beendigung der »NATO-Angriffe« und eine Rückkehr an den Konferenztisch forderte auch Sybille Stamm, die Hauptrednerin der Maikundgebung. Insbesondere die demokratischen und unabhängigen Gewerkschaften in Serbien, Montenegro und im Kosovo brauchten Unterstützung, damit der Dialog und die Diplomatie wieder in Gang kämen.

Die Gewerkschaften in der Bundesrepublik hätten sich vom Politikwechsel viel versprochen, aber die »Kluft zwischen Wahlversprechen und Umsetzung ist groß«. Die Lobby der Firmen nehme schamlos Einfluß auf die Politik. Etwa bei der Steuerpolitik, bei der der DaimlerChrysler-Konzern eine Rücknahme der Gesetzgebung fordere, obwohl er bis zum Jahr 2001 wegen des Verlustvortrags durch die Fokker-Pleite »keine müde Mark Steuern zahlen wird«.

Was die Bundesrepublik brauche, seien Arbeits- und Ausbildungsplätze, nicht auf Kosten der Frauen und nicht auf Kosten der Armen. Die Aktienkurse stiegen, ebenso die Zahl der Vermögensmillionäre, gleichzeitig habe die Bundesrepublik einen Exportrekord eingefahren. Die Ausfuhr alleine könne die Binnenkonjunktur nicht ankurbeln. Dazu bedürfe es anständiger Lohn- und Gehaltssteigerungen; außerdem sei ein Stück Umverteilung nötig.