Angst vor Eiseskälte an der Grundschule und vor Chancenlosigkeit der Hauptschüler

Diskussion »Schulpolitik in der Sackgasse?« mit Vertretern der Parteien, Schulen und Eltern

Kleinostheim (Kreis Aschaffenburg). Mit Engelszungen lobte Studienrat Rolf Haizmann die Vorteile der sechsstufigen Realschule: bessere Leistungen der Schüler, weniger Wiederholer, »Bildung ohne Umwege«, mehr Förderung auch im musisch-künstlerischen Bereich. Doch überzeugen konnte der Vorsitzende des Bezirksverbands Unterfranken im Bayerischen Realschullehrerverband die zahlreichen Eltern und Elternvertreter nicht am Dienstag abend bei der Podiumsdiskussion »Bayerische Schulpolitik in der Sackgasse«, zu der der Kleinostheimer Arbeitskreis »Gute Besserung Schule« in die Maingauhalle eingeladen hatte.

Die Ängste der Mütter und Väter, so wurde deutlich, richten sich weniger gegen die neue (sechs statt vier Jahrgangsstufen umfassende) Form der Realschule, die derzeit in Bayern an ausgewählten Schulen erprobt wird, sondern in erster Linie gegen deren flächendeckende Einführung. Diese, so Professor Dr. Wolfgang Magin, Vorsitzender des Bayerischen Elternverbands (BEV) Unterfranken, wäre das »Ende der Durchlässigkeit« zwischen den verschiedenen Schularten.

Was wird aus Spätentwicklern?

Spätentwickler, so Magin, hätten keine Chance mehr, wenn die Eltern sich bereits für ihre zehnjährigen Kinder zwischen Gymnasium, Realschule und Hauptschule entscheiden müßten. Nur Nachzügler mit »Spitzenleistungen« ­ sprich einem Notendurchschnitt von 1,6 ­ würden noch akzeptiert. Der Wechsel vom Gymnasium zurück auf die Realschule sei endgültig verbaut, setze sich das neue System überall durch, warnte Magin. Es bleibe nur noch die Rückkehr in die Hauptschule.

Und diese, so der Elternvertreter, sei derzeit alles andere als die vom bayerischen Kultusministerium beschriebene »rosige Alternativschule« - ganz zu schweigen von der »hochgelobten« freiwilligen zehnten Klasse (F 10 auf Behördendeutsch), die nur an einigen wenigen Hauptschulen überhaupt zustande komme. Laut Auskunft des Arbeitsamts Aschaffenburg herrsche auf dem Arbeitsmarkt gegenwärtig ein starker »Verdrängungswettbewerb«, bei dem Hauptschüler »kaum Chancen« hätten.

Eltern unter Druck

Wie sehr die anstehende Entscheidung zwischen Gymnasium, Realschule oder Hauptschule schon jetzt die Eltern von Dritt- und Viertkläßlern unter Druck setzt, bewiesen besorgte Fragen aus dem (etwa 200 Leute zählenden) Publikum: Da war die Rede von einer dritten Klasse der Grundschule Heigenbrücken-Heinrichstahl, der bereits der dritte Lehrerwechsel zugemutet werde, oder von Kleinostheimer Klassen mit zwei verschiedenen Lehrern in Deutsch und insgesamt sieben Lehrern. »Wie sollen die Kinder da richtig fürs Übertrittszeugnis beurteilt werden können?«, fragten sich Mütter und Väter.

Bereits bei der vorangegangenen Diskussion über Klassenstärken (zu groß nach Einschätzung der Eltern) und Stundenzahlen (als immer noch zu wenig kritisiert) hatte eine Mutter sich beklagt: Die Schule von heute sei kalt, unpersönlich und unmenschlich. Um die Situation zu verbessern, seien nicht nur kleinere Klassen und mehr Lehrer, sondern eine weichherzigere und offenere Organisationsform nötig.

Der Druck auf die Grundschulen könne, so meinte Albrecht Sylla von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), beispielsweise abgebaut werden, indem generell erst nach dem sechsten Schuljahr über den Übertritt in weiterführende Schulen entschieden werde. Im Gegensatz dazu meinte Haizmann, eine Aufnahmeprüfung für die sechsstufige Realschule könne das Problem ebenso beseitigen. Insgesamt beurteilte Sylla das gegenwärtige Schulsystem als »leistungsfeindlich«. In Klassen mit mehr als 25 Schülern sei verantwortungsvolle Pädagogik nicht mehr möglich.

»Wenn wir wollen, daß in der Schule besser auf die Kinder eingegangen wird, müssen wir endlich den Schulleitern, Lehrern und Eltern vor Ort mehr Eigenverantwortung zutrauen«, forderte Walter Roth, Rektor in Goldbach und Vertreter des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV). In der Schule der Zukunft sollten nicht Stunden nachgezählt, sondern kreative Ideen eingebracht werden.

Regierungsschulrat Herbert Pohla meinte, die Staatlichen Schulämter ließen durchaus an besonderen Brennpunkten besondere Maßnahmen zu. Dennoch, so CSU-Landtagsmitglied Dr. Walter Eykmann, sei es ein »Unding«, daß über Klassenstärken in Würzburg entschieden werde. »Ich bin überzeugt, daß das ein Schulleiter vor Ort kann.« Auch im Kultusministerium habe man inzwischen eingesehen, daß jede Klasse über 30 Schüler pädagogisch nicht sinnvoll sei. Deshalb sei nun auch die Höchstgrenze für die Hauptschule von 33 auf 32 gesenkt worden.

Leiden unter Lehrerwechsel

»In der Tat eine Sparmaßnahme«, räumte Eykmann ein, sei die Regelung, daß Lehramtsanwärter (die nur drei von fünf Tagen in der Woche Unterricht halten und während der restlichen Zeit in ihrer Seminar-Arbeitsgemeinschaft tätig sind) eine Schulklasse leiten dürfen. Pohla war hingegen der Auffasssung, die Anwärter sollten möglichst früh hinein in die Eigenverantwortlichkeit. Der Aschaffenburger Schulpsychologe Rudolf Schott gab den Eltern recht, die meinten, Kinder litten sehr wohl unter häufigem Lehrerwechsel.

SPD-Landtagsabgeordnete Karin Radermacher forderte, die Lehrerausbildung müsse ebenso verändert werden (vor allem zugunsten von mehr Praxisorientierung) wie das Schulsytem insgesamt. Ihre Partei verlange schon seit langem ein »wohnortnahes, durchlässiges Schulsystem mindestens bis zur sechsten Klasse«.