MAIN-ECHO 12.2.1998:

»Rotstift zerstört sinnvolle Pädagogik«
Hunderte von Eltern gingen auf die Straße

»Aktion 25« für kleinere Klassen und mehr Junglehrer auch an Unterfrankens Schulen

Kleinostheim (KreisAschaffenburg). »Man muß die Dinge sehen, wie sie sind, aber man muß sie doch nicht so lassen.« Gegen die derzeitige Bildungspolitik des Freistaats Bayern - die geprägt ist von massiven Stundenkürzungen und Einstellungsstopps für Junglehrer trotz steigender Schülerzahlen - gingen am gestrigen Mittwoch Hunderte von Eltern an zahlreichen unterfränkischen Schulen und im übrigen Bayern auf die Straße, so auch vor der Brentanoschule in Kleinostheim und vor weiteren Schulen in Stadt und Kreis Aschaffenburg.

Sie folgten damit einem bayernweiten Aufruf der Weilheimer Elterninitiative »Ak-tion 25». die mit Schulstreiks vor den Som-merferien 1997 auf die unzumutbar großen Klassen an bayerischen Schulen hingewiesen und »keine Klasse über 25 Kinder« gefordert hatte.

In Kleinostheim hatte sich bereits zu Schuljahresbeginn der Arbeitskreis »Gute Besserung Schule« um die Klassenelternsprecherin Maria Weitz-Kneisel, Monika Kruschina-Reising und Cindy Herzog-Wannemacher formiert, der außer der Mittwochs-Demonstration weitere Veranstaltungen vorbereitet hat: so ein Treffen aller Elternbeiräte des Kreises Aschaffenburg im März im Martinushaus und eine Podiumsdiskussion in Kleinostheim im April.

Gemeinsam mit den Kindern wurden bunte Transparente entworfen, auf denen am Mittwoch zu lesen war, worum es den Müttern und Vätern geht: »Bildung ist teuer - keine Bildung ist Bankrott«, »Wir wollen lernen!«, »Rücknahme der Stundenkürzungen«. »Mehr Sportunterricht« oder »Junge Lehrer einstellen!«.

Hausverbot und Regenpause

»Wir kämpfen hier auch für die Lehrer«, betonte Elternbeiratsvorsitzender Curt Debus, nachdem die Leitung der Brentanoschule den protestierenden Eltern »Hausverbot« und den Schülern (bei strahlendem Sonnenschein) »Regenpause« (die Kinder dürfen nicht auf den Hof. sondern müssen in der Halle und den Gängen bleiben) erteilt hatte.

»Für unsere Großen in der Schule werden wir wohl noch wenig ändern können«, meinten einige der Mütter und verwiesen auf ihre Säuglinge im Kinderwagen. »Aber für die Kleinen lohnt es vielleicht doch eines Tages.« Trotz des Vormittags-Termins waren rund 200 Teilnehmer auf dem Platz vor der Schule versammelt - für Wolfgang Magin, den Vorsitzenden des Regionalverbands Unterfranken im Bayerischen Elternverband (BEV), der an der Kundgebung teilnahm, »ein toller Erfolg«.

Der katholische Pfarrer Clemens Bieber, der zusammen mit seinem evangelischen Amtskollegen Heinrich Arweck und einer Abordnung der örtlichen Katholischen Arbeitnehmerbewegung (KAB) anwesend war, meinte, es hätten noch viel mehr Väter und Mütter Interesse zeigen sollen. Doch vielleicht gelinge es den aktiven Eltern, auch bei den anderen ein Bewußtsein für ihre Verantwortung zu wecken.

Elternbeiratsvorsitzender Debus verlas ein Grußwort von Reinhard Frankl, dem Kreisvorsitzenden Aschaffenburg der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). »Es fehlt allein am politischen Willen der Parteien«, so Frankl. Die Eltern selbst hätten sehr wohl erkannt. daß sie die Zeche für die gravierenden Kürzungen auf dem Bildungssektor zahlen müßten - erst in Form von Nachhilfeunterricht, später dann, indem sie die arbeitslosen Jugendlichen weiterversorgten.

Frankls Fazit: »Der Rotstift zerstört sinnvolle Pädagogik.« Das wichtigste Druckmittel dagegen sei Elternprotest - vor allem jetzt vor den Wahlen.

Der Protest artikulierte sich gestern auf vielfältigste Weise: In Niedernberg (Kreis Miltenberg) ließen Kinder in der Pause Luftballons steigen. In der Dr.-Vits-Schule in Erlenbach/Main fand eine Kundgebung statt, an der sich auch Landtagsabgeordnete beteiligten.

Im Kreis Main-Spessart kamen Eltern zu einer zentralen Kundgebung auf dem Marktplatz von Karlstadt zusammen, und in Würzburg trafen sich Eltern, Schüler und Lehrer zu einer Kundgebung am Vierröhrenbrunnen.

ME, Buch: Heimat und Lokales S. 1, 12.2.98