MAIN-ECHO, 06.05.2006

Immer mehr Bildungsmarkt

Der GEW-Bundesvorsitzende Ulrich Thöne sprach in Aschaffenburg

Aschaffenburg. »Tiefdruck in der Bildung - Hochdruck auf die Beschäftigten« war das Thema, zu dem Ulrich Thöne, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), auf Einladung des GEW-Kreisverbandes Aschaffenburg-Miltenberg sprach.

Als Beispiel für den »Tiefdruck« hielt er sich nicht lange bei den Ergebnissen der PISA-Studie auf und wandte sich einem Thema zu, das die soziale Schief- und Tieflage im gegliederten Schulsystem verdeutlichte. »Die Diskussion um Gewalt an der Berliner Rütli-Schule wird in weiten Bereichen unehrlich und heuchlerisch geführt«, sagte Thöne. Es werde fast überhaupt nicht darauf eingegangen, dass schon Generationen von Schulabgängern dort keinen Ausbildungsplatz mehr gefunden haben. »Dieses Problem werden die besten Sprachkurse, von denen wir jeden einzelnen sehr begrüßen würden, nicht lösen.«

Zudem registrierten viele der Jugendlichen die hemmungslose Selbstbedienungs- und Ellenbogenmentalität, wie sie in Politik und Wirtschaft vorgelebt werde. »Da muss man sich über Resignation und Frustration, die sich auch in Gewalt entladen, nicht wundern«, stellte Thöne fest, der viele Jahre Lehrer in Berlin war.

Für ihn führt kein Weg daran vorbei: »Wir brauchen die Ausbildungsplatzumlage. Wer nicht ausbildet, soll zahlen.« Wenn es nicht gelinge, zusätzliche betriebliche Lehrstellen zu schaffen, müsse mehr voll qualifizierende Ausbildung in Berufsschulen und außerbetrieblichen Lernorten angeboten werden. Das Abschieben junger Menschen in Warteschleifen bezeichnete Thöne als verantwortungslos und zynisch und forderte, das Recht auf Ausbildung in die Verfassung aufzunehmen.

»Schlecht reden, dann privatisieren«

Vor diesem Hintergrund kann Thöne kein Verständnis dafür aufbringen, dass Deutschland nicht endlich die Forderung der OECD erfülle und den Anteil der öffentlichen Bildungsausgaben von 4,4 Prozent am Bruttoinlandsprodukt aufstocke. In den USA, die oftmals wegen ihres angeblich niedrigeren Bildungsniveaus belächelt würden, liege diese internationale Messgröße für Bildungsausgaben um etwa einen Prozentpunkt höher als in Deutschland. Würde bei uns im gleichen Verhältnis in die Bildung investiert, stünden etwa 20 Milliarden Euro mehr für den Bildungsbereich zur Verfügung.

Doch gingen die Staatslenker in die entgegengesetzte Richtung und betrieben immer mehr den Rückzug aus Bildungsaufgaben. »Erst schlecht reden und dann privatisieren«, skizzierte er die schon aus anderen öffentlichen Dienstleistungen bekannte Strategie. Dieser Trend bringe allerdings, wie die Beispiele Bahn, Post oder Energie bereits zeigten, nie die versprochenen Verbesserungen für die »Kunden«. Im Gegenteil.

Thöne befürchtet, dass die derzeit geplanten Reaktionen auf internationale Studien sich entgegen manchen Sonntagsreden von Politikern auf den »Hochdruck auf die Beschäftigten« beschränkten. Dessen Zentrum sieht er im Umbau des Bildungssektors in einen wettbewerbsbestimmten Markt. Ob Arbeitszeiterhöhungen, zu hohe Klassengrößen, Verkürzung von Schulzeiten, ausgefeiltere Tests und Zeugnisse zur verstärkten Auslese, Kürzungen bei der Alters- und Gesundheitsversorgung, die gesamte betriebswirtschaftliche Ausrichtung von Bildungseinrichtungen oder die dramatisch wachsende Unsicherheit von Arbeitsverhältnissen, all das orientiere sich einseitig an den Interessen der Ökonomie zu Lasten der Beschäftigten, meist auch der Schüler und Studierenden.

Protestvorbild Frankreich

Diese Umbaumaßnahmen bedeuteten letztlich Bildungs- und Sozialabbau, dem man nicht tatenlos zusehen dürfe. In diesem Zusammenhang verwies der GEW-Vorsitzende auch auf die erfolgreichen Proteste gegen den Abbau des Kündigungsschutzes in Frankreich: »Nehmen wir uns den Mut unserer Kolleginnen und Kollegen im Nachbarland zum Vorbild, greifen wir wieder vermehrt zu gewerkschaftlichen Formen der Auseinandersetzung bei der Verteidigung unserer Interessen!«, rief er aus. red

UTHOENE060503.jpg (168723 Byte) Ulrich Thöne in Aschaffenburg: "Vermehrt gewerkschaftliche Formen bei der Verteidigung unserer Interessen!" foto: privat