Protest gegen achtstufiges Gymnasium: »In zehn Jahren
werden wir erkennen, was wir hier angerichtet haben«

Demonstration der Aktion »Schulterschluss« zum Freller-Besuch am Dessauer-Gymnasium

Aschaffenburg. Rund 250 Schüler, Eltern und Lehrer protestierten gestern Nachmittag vor dem Aschaffenburger Friedrich-Dessauer-Gymnasium gegen die Sparpolitik der bayerischen Staatsregierung im Bildungswesen. Währenddessen informierte Karl Freller, Staatsminister im Kultusministerium, im Innern der Schule geladene Lehrer- und Elternvertreter über die bereits beschlossene Einführung des achtstufigen Gymnasiums (G8) in Bayern im laufenden Schuljahr.

Eine »Alibiveranstaltung« nannte Sina Reising von der Aschaffenburger Schülervertretung ASV Frellers Besuch in ihrer Rede. Es werde nur Mitspracherecht vorgegaukelt, Proteste - wie gegen Qualitätsverlust und wegfallende Lernmittelfreiheit - würden schlichtweg ignoriert.

Bildung dürfe nicht von der Höhe des Gehaltsschecks der Eltern abhängen, sondern sei ein Grundrecht, sagte die Schülerin. Gymnasiastinnen von der Aschaffenburger Maria-Ward-Schule verteilten unterdessen Bildungslotteriescheine mit der Aufschrift: »Kreuzen Sie an! Ihre Chancen, dass ihr Kind an der richtigen Schule landet, stehen Fifty:Fifty«.

Professor Dr. Wolfgang Magin, stellvertretender Vorsitzender des bayerischen Landeselternverbands, warf Ministerpräsident Edmund Stoiber »politischen Ehrgeiz« vor. Das G8 werde in Bayern überstürzt verwirklicht, »um alle anderen Bundesländer zu überholen«. Jetzt, nachdem Kultusministerin Monika Hohlmeier die Diskussion bereits vor Weihnachten für beendet erklärt habe, dürften Vorschläge gemacht werden. Magin: »Wir haben beschlossen, keine Vorschläge zu machen. Wir werden fordern.«

Zwei Forderungen

Der Landeselternsprecher sprach für die gesamte Aktion Schulterschluss Aschaffenburg, zu der sich Eltern, Schüler und Vertreter verschiedenster Lehrerverbände in den vergangenen Wochen in der Region bayerischer Untermain zusammengeschlossen haben und die auch die gestrige Kundgebung mit Teilnehmern aus der gesamten Region bayerischer Untermain veranstaltet hat.

Magin nannte zwei Forderungen: einen »Lehrplan, der unseren Kindern und Jugendlichen gerecht wird« und ihre altersgemäße Entwicklung berücksichtige, sowie »vernünftige Rahmenbedingungen« und ein entsprechendes Bauprogramm. Mittagsbetreuung sei erheblich mehr, als den Schülern »mal schnell einen Leberkäsweck in die Hand zu drücken«.

Wenn die bayerische Staatsregierung behaupte, mit den zugewiesenen Bundesmitteln für die Ganztagsschulen (insgesamt 600 Millionen Euro bis 2008) sei genug Geld vorhanden, dann sei das »mehr als kritisch zu sehen«, sagte Magin. Ganztagsschulen seien etwas ganz anderes als das achtstufige Gymnasium. »Hier werden Mittel abgegriffen für eine Mogelpackung, die anderen Schulen, die auf einen echten Ganztagsbetrieb umstellen wollen, dann fehlen.«

Auf der Strecke blieben die Grund- und Hauptschulen. Eine Hauptschule ohne Schulsozialarbeit und Ganztagsbetreuung werde eben nicht den Schülern gerecht, die es aufgrund komplizierter häuslicher Verhältnisse schwer mit dem sozialen und schulischen Lernen hätten, meinte Hauptschullehrerin Isabella Zang von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft GEW Unterfranken. Bayerns Sparpolitik belaste in erster Linie die sozial schwachen Schüler und Eltern und auch »die Berufsgruppe, die einmal mit großem Engagement angetreten ist, genau diese Benachteiligungen in einem gerechten und effektiven Bildungssystem auszugleichen«.

Besonders die Lehrer an den Grundschulen litten unter dem Leistungs- und Selektionsdruck, den sie an Kinder und Eltern weitergeben müssten. Es sei »absurd«, sagte Zang, dass den älteren Lehrern, denen das Unterrichten auch wegen gesundheitlicher Belastung zunehmend schwerer falle, die Arbeitszeit verlängert werde, während junge Kollegen beschäftigungslos vor der Tür stünden. Die Rednerin forderte: »Das individuelle Jammern in den Lehrerzimmern muss endlich einer offen gezeigten gemeinsamen Courage weichen.«

Rotstifte mitgebracht

Zwei Vertreter des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands BLLV hatten riesige Rotstifte mitgebracht, um diese Aussage zu unterstreichen. Einen weiteren »Rotstift« sieht Musiklehrer Friedhelm Bloos vom Dessauer-Gymnasium bald am Werk :»Das G8 wird alle unsere Aktivitäten töten: unsere Bigband, den Chor und das Orchester.«

In den vergangenen 20 Jahren hat Bloos elf Musicals an seiner Schule aufgeführt. Damit sei nun wohl Schluss. Bloos: »In zehn Jahren werden wir erkennen, was wir hier angerichtet haben.«

mel