»Lange genug geduckt«

Fast 4000 Demonstranten gegen Bildungsreform in Aschaffenburg

Aschaffenburg. Es war die größte und lauteste Demonstration, die Aschaffenburg seit Jahren gesehen hat: Nach Polizeischätzung gingen gestern bis zu 4000 Schüler und Schülerinnen, Eltern und Lehrkräfte auf die Straße, um gegen die Einführung des achtjährigen Gymnasiums in Bayern zu protestieren. Dem Sternmarsch der Gymnasien folgte eine Kundgebung auf dem Marktplatz.

»Wir haben lange genug geduckt, jetzt wird endlich aufgemuckt«: Schüler eröffneten den Reigen der Redner. Vincent Steinl (Bezirksschülersprecher für die Gymnasien), Eva Koll (Aschaffenburger Schülervertretung) und Annika Jäkel (für die Grundschulen) machten deutlich, weshalb Kinder und Jugendliche das achtjährige Gymnasium ablehnen.

Zwar lasse sich über konkrete Pläne wenig sagen, weil das bayerische Kultusministerium seine Pläne grundsätzlich nicht mit Schülern abspreche und in diesem Fall nicht einmal richtig ausgearbeitet habe. Erkennbar sei aber, dass durch die Verkürzung der Gymnasialzeit bei gleichzeitiger Erhöhung der Wochenstundenzahl der Leistungsdruck erneut zunehme, obwohl bayerische Schüler bereits an der Leistungsobergrenze arbeiteten. Das werde zu einer weiteren Auslese führen. Die Undurchlässigkeit der Schulsysteme in Bayern werde wachsen, außerschulisches Engagement von Gymnasiasten vernichtet.

Mit der ebenfalls geplanten Reform der Oberstufe werde die einzige Wahlmöglichkeit beseitigt, die bayerischen Gymnasiasten noch geblieben sei: die Wahl der Kurse. Mehr Mitsprache und Demokratie an Bayerns Schulen waren denn auch wesentliche Forderungen der Schülervertreter. Neben dem achtjährigen Gymnasium lehnten sie das geplante »Büchergeld« und weitere Belastungen der Lehrer ab.

Deren Urteil ließ nicht lange auf sich warten: »Der Beschluss der CSU-Landtagsfraktion bedeutet: Das gute bayerische Gymnasium, laut PISA weltweit an der Spitze, wird es nicht mehr lange geben«, rief Richard Kerler (Philologenverband) ins Mikrofon, »das Recht auf eine gute Bildung ist akut gefährdet.« Immerhin habe Ministerpräsident Stoiber mit nur einem Satz in seiner Regierungserklärung vom 6. November etwas Einmaliges geschafft: »Eltern, Lehrer und Schüler halten zusammen gegen die falsche Politik der Staatsregierung.«

Recht gab er den Schülern, was die befürchtete Auslese betrifft: Das habe sich im Saarland gezeigt, wo das G8 seit acht Jahren getestet wird.

Schlagzeilen aus dem Saarland zitierte Birgit Graß (Personalrat): »Eltern klagen über Turbo-Abi«. Dennoch wolle Bayern die eigenen Schulversuche nach nur zweieinhalb Jahren einstellen und das G9 abschaffen, das Kultusministerin Hohlmeier noch vor einem Jahr in Hösbach als »Vorzeigemodell« gepriesen hatte. Lehrpläne fehlten, es gebe nur Versprechungen - denen niemand glaube, nachdem Stoiber vor der Bayernwahl versprochen hatte, er halte am neunjährigen Gymnasium fest.

Wer könne auch einem Schulsystem vertrauen, dessen Ziel sich von vorne herein nur durch »Intensivierungsstunden« erreichen lasse? Den Lehrern werde die spaltende Aufgabe zukommen, die Klassen für diese Stunden in gute und schlechte Schüler zu unterteilen.

Die Vermutung der Personalrätin: »Die Politiker brauchen jüngere Abiturienten, damit sie sich ihre Altersversorgung sichern können.« Die Lehrer lehnten es ab, die Schüler ausschließlich zu »wirtschaftlich verwertbaren Wesen« zu erziehen. Schon jetzt fehle es den Gymnasien an Zeit zur Persönlichkeitsbildung.

Elternsprecherin Andrea Wacker teilte die Befürchtungen. Sie forderte ein schlüssiges Konzept und einen realisierbaren Zeitplan für die Einführung des G8. Das Verhältnis von Stoff und Stundenzahl müsse stimmen. Sorgen macht den Eltern der Blick in die Zukunft: Es bedürfe einer klaren Antwort auf die Frage, wie in acht Jahren der doppelte Abiturjahrgang aufgefangen werden soll.

»Lernen braucht Zeit«, so Reinhard Frankl (Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft). Seine Forderung: »Weg mit allen Plänen zur Schulzeitverkürzung!« Frankl untermauerte die Beiträge der Vorredner mit Zahlen. Darüber hinaus lehnte er auch die Zulagenkürzung und die Arbeitszeitverlängerung ab, die für bayerische Lehrer geplant sind.

Peter Freudenberger