»Ökonomischer Analphabetismus« begünstigt Globalisierung der Finanzmärkte

Attac-Spezialist Giegold über die Auswirkungen der Globalisierung auf die Gesellschaft

Aschaffenburg. »Die Liberalisierung der Finanzmärkte hat weder zu mehr Wohlstand noch zu mehr Arbeitsplätzen geführt. Das jedoch war die politische Rechtfertigung für die Abschaffung nahezu aller Auflagen, die den freien Kapitalverkehr begrenzen oder kontrollieren sollten. Nach zwei Jahrzehnten Erfahrung mit einem liberalisierten, globalen Finanzmarkt können wir belegen, dass das Gegenteil eingetreten ist. In nahezu jedem Land der Erde ist die Arbeitslosigkeit gestiegen und der Anteil der armen Bevölkerung größer geworden.« Dieses Resümee zog Sven Giegold von Attac bei seinem Vortrag über die liberalisierten und globalen Finanzmärkte.

Giegold war von der örtlichen Attac-Gruppe, der Deutschen Friedensgesellschaft und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft nach Aschaffenburg eingeladen worden, um die komplizierten Zusammenhänge der globalen Finanzmärkte mit ihren katastrophalen Auswirkungen auf viele Gesellschaften deutlich zu machen. »Die Akzeptanz der neoliberalen Dogmatik basiert auf dem in der Gesellschaft verbreiteten ökonomischen Analphabetismus. Nur dadurch kann sich der Neoliberalismus als Sachkenntnis maskieren und wird nicht als Ideologie erkannt«, so Giegold.

Explosion der Umsätze?

Die Liberalisierung der Finanzmärkte begann 1973 mit der Aufkündigung der Bretton-Woods-Vereinbarungen, also mit der Freigabe der Wechselkurse. Die sichtbarste Folge dieser Maßnahme war eine Explosion der Umsätze auf den einzelnen Teilmärkten. »Der Handel mit Devisen erreicht heute das Dreißigfache des realen Weltexports. Ähnliches gilt für den grenzüberschreitenden Wertpapierhandel. Noch schneller hat sich der Handel mit Derivaten entwickelt. Jedes Derivat wird einmal im Jahr umgeschlagen.«

Zeit ist Geld

Für Giegold liegt die Ursache eindeutig in der Finanzspekulation, die nach seiner Meinung im großen Maßstab von den sogenannten institutionellen Anlegern betrieben wird, also von den Managern der Investment- und Rentenfonds. Das langsamere Wachstum in den Industrieländern einerseits und die Möglichkeiten der Finanzmärkte andererseits haben gigantische Spekulationen zur ertragreichsten Kapitalverwertung gemacht.

Die Entwicklung der Informations-, Computer- und Telekommunikationstechnologien waren laut Giegold die dritte Voraussetzung, in kürzester Zeit auf kleinste Veränderungen im internationalen Wechselkurs- oder Renditegefüge zu reagieren. Dies habe sich erheblich auf Wechselkurse, Aktienkurse und Zinsen in den betroffenen Ländern ausgewirkt. Die daraus entstandenen Finanzkrisen in Russland, Mexiko, Südostasien und Argentinien hätten ein Heer von Arbeitslosen und Armen hinterlassen. Giegold betonte, dass dieser Zusammenhang nicht von »linken Spinnern« hergestellt würde, sondern sich in den Berichten von Weltbank und UNO wiederfinde.

Die globale Mobilität des Kapitals hat nach Meinung von Giegold die traditionellen Instrumente der Wirtschaftspolitik wirkungslos gemacht: »Das erste Mal wurde dies 1981 sichtbar, als Mitterand versuchte, durch Zinssenkungen die Konjunktur zu beleben. Kapitalflucht war die Folge, Investitionen wurden nicht getätigt, das Wachstum ging noch weiter zurück.«

Eine weitere Wirkung für den Alltag durch die liberalisierten internationalen Finanzströme wurde in der Diskussion hervorgehoben. Die Konzerne RWE und EON würden sich mehr und mehr zu globalen »Waterbarons« entwickeln, indem sie weltweit Wasserversorgungsunternehmen aufkaufen und monopolartige Besitzverhältnisse in einem der empfindlichsten Bereiche menschlicher Grundversorgung schaffen, was wiederum zu unabwägbaren Risiken für die betroffenen Menschen führt.

Globalisierung soll nützen

All dies dürfe nicht zu dem falschen Schluss führen, dass die neoliberale Spielart der Globalisierung quasi gottgegeben ist. Attac setze sich für eine Globalisierung ein, die den Menschen nützt, wende sich aber gegen jene Art von Neoliberalisierung, die den Menschen Schaden zufügt. »Genau wie der Manchester-Kapitalismus politisch eingehegt worden ist, muss auch die neoliberale Globalisierung politisch eingehegt werden. War es damals der Nationalstaat, in dessen Rahmen sich die Arbeiterbewegung soziale Standards erkämpfte, so ist heute die internationale Ebene der Ort der Auseinandersetzung. Vorschläge gebe es genug: von der Tobinsteuer bis zur Vereinbarung internationaler, sozialer und ökologischer Standards, von der Kontrolle internationaler Finanzaktivitäten bis zur Lösung der Schuldenkrise durch Streichung der Schulden.«