| Die Gewalt auf breiter Ebene ächtenPodiumsdiskussion im Kronberg-Gymnasium: »Schule und Gewalt – wohin steuern wir?«Aschaffenburg.
            Meißen,
            Brannenburg, Freising, Erfurt. Diese Städte stehen für
            schwerwiegende Verbrechen von Jugendlichen an ihren Schulen. Mit
            Erfurt fand die Kette von Gewaltakten ihren grausamen Höhepunkt. »Schule
            und Gewalt – wohin steuern wir ?« Darüber zu diskutieren
            hatte die Aschaffenburger Schülervertretung am Mittwoch ins
            Kronberg-Gymnasium eingeladen.
             Das Podium war mit Vertretern aus den
            Bereichen Schule und deren Verbände, Psychologie, Polizei und
            Jugendarbeit besetzt. So komplex und sensibel die Problematik ist,
            so vielschichtig muss sie auch beleuchtet werden. Dass dies gelang
            und in fruchtbaren Denk- und Lösungsansätzen mündete, war nicht
            zuletzt der souveränen und kompetenten Diskussionsleitung durch
            Robert Flörchinger vom Stadtjugendring zu verdanken.
             Da ging es zunächst einmal um die
            Definition von Gewalt. Wo beginnt sie? Wie lange dürfen Eltern oder
            Lehrer zuschauen, bevor sie eingreifen? Walter Fronczek, Mitglied
            des Bayerischen Philologenverbandes, beklagte, dass Gewalt auf
            breiter Ebene von der Gesellschaft toleriert würde. Und dabei geht
            es nicht immer um physische, sondern auch um verbale Gewalt, sprich
            dem an Schulen weit verbreiteten Mobbing.
             Laut Bruno Bozem von der
            Polizeidirektion Aschaffenburg sind die polizeilich registrierten
            Gewaltdelikte in den letzten zehn Jahren permanent angestiegen. Die
            Qualität von Gewalt habe zugenommen, und die Täter würden immer jünger;
            ein Drittel aller erfassten Gewalttäter sei unter 21 Jahren. Dass
            Gewalt bei Jugendlichen generell zugenommen habe, wollte Maigk
            Sommer vom JuKuz nicht bestätigen. Allerdings stellte er das Fehlen
            einer Streitkultur fest: »Kinder und Jugendliche leiden heute unter
            erheblichen Kommunikationsstörungen. Sie sind nicht in der Lage,
            eine Streit verbal zu Ende zu führen.«
             Einen Zusammenhang zwischen der
            zunehmenden Gewaltbereitschaft von Kindern und Jugendlichen und dem
            Schulsystem sieht Isabella Zang von der Gewerkschaft Erziehung und
            Wissenschaft. »Unser Schulsystem repräsentiert den Aufstieg, die
            gesellschaftliche Akzeptanz durch Bestehen in diesem Elitesystem.
            Dieses hasst jeder, der in ihm versagt.« Man müsse sich die
            Frage stellen, so Fronczek, ob die Schulform, gerade im Hinblick auf
            die Kollegstufe, dem vorhandenen Drang der Jugendlichen nach
            Gemeinschaft, nach Geborgenheit gerecht werden kann.
             Wo sind die Ursachen für die
            wachsende Gewaltbereitschaft von Jugendlichen zu suchen? Hier gab es
            einen breiten Konsenz: Die eigene Gewalterfahrung in der Familie
            spiele hier eine gewichtige Rolle, waren sich alle Beteiligten
            einig. Eine fehlende Streitkultur, die Ohnmacht der Jugendlichen,
            dem Druck durch Schule, Eltern und Gesellschaft nicht gewachsen zu
            sein, ein anderer. Mangelnde Strukturen, Grenzen und Konsequenzen in
            der elterlichen Erziehung vermissten nahezu alle Beteiligten. »Wenn
            zu Hause keine Grenzen gesetzt werden, kann die Schule dies nicht
            nachholen«, so Fronzcek.
             Auch die mediale Gewalt wurde als
            Ursache thematisiert. Sie führe zu Abstumpfung, zur Vermischung von
            Fiktion und Realität. Beobachtet wird von den Fachleuten auch
            eine sinkende Frustrationsschwelle bei Jugendlichen, die Misserfolge
            nur schwer akzeptieren könnten, zu schnell aufgäben. Das Wort
            Angst machte ebenfalls die Runde. Woher kommen diese Ängste? Liegen
            sie nicht doch im herrschenden Schulsystem begründet, wo der Schüler
            bei Versagen sein gesamtes Umfeld wechseln muss?
             Ursachenforschung ist das eine – Lösungsansätze
            das andere. Auch hier waren sich die Beteiligten einig. Eine der
            wichtigsten Konsequenzen muss sein: Die Ächtung von Gewalt, und
            zwar auf breiter Ebene. Lehrer dürften nicht mehr durch Wegschaupädagogik
            glänzen, sondern müssten Flagge und Zivilcourage zeigen, sprich frühzeitig
            eingreifen, wenn es zu verbalen oder physischen Attacken unter Schülern
            kommt. Gleiches gelte für die Schüler selbst. Aufeinander achten,
            Netzwerke bilden, in Kontakt sein. Auch müsse der Kontakt zwischen
            Lehrern, Eltern und Schülern intensiviert werden.
             Unterstützung, Verständnis, Rat und
            Trost durch die Erwachsenen im Falle von Misserfolg oder Versagen
            muss selbstverständlich sein. Druckstellen müssten beseitigt
            werden. So wurde gewünscht, dass Eltern die Erwartungshaltung an
            ihre Kinder zurücknehmen, akzeptieren sollten, wenn das eigene Kind
            in der Schule überfordert ist. »Es wäre der Motivation eines
            schlechten Gymnasiasten wahrscheinlich zuträglich, wenn er an der
            Realschule eine gute mittlere Reife ablegen könnte, statt sich mit
            miserablem Notendurchschnitt durchs Abitur zu schleppen«, meinte
            Fronzcek.
             »Wir können unseren Kindern den
            Leistungsdruck nicht ersparen, sie nicht in Watte packen«, so Dr.
            Astrid Neuy-Barthmann. »Wir können ihnen aber helfen, Misserfolge
            wegzustecken, sie begleiten und ihnen zur Seite stehen. Und wir müssen
            unsere Werte wieder neu definieren.«
             Kinder und Jugendliche brauchten
            klare Strukturen, die eingehalten werden müssen Auf »Vergehen«
            soll sensibel, aber in jedem Fall sofort reagiert werden. Hier müsse
            eine Diskussion über das Erziehungsverhalten von Eltern
            stattfinden. »Eine Erziehungsschulung wäre häufig angebracht und
            notwendig, denn der Einfluss der Eltern auf Kinder und Jugendliche
            ist sehr hoch«, so Sommer. Langzeitstudien belegten, dass nur
            wenige Eltern eine wirksame Erziehung praktizierten. »Wirksam ist
            sie dann, wenn sie liebevoll, aber auch klar und konsequent ist.
             Wir müssen unseren Bildungsauftrag
            ernst nehmen, der besagt, Jugendliche sollen gestärkt und glücklich,
            nicht nur arbeitsmarktfähig gemacht werden.« Wichtig für
            Jugendliche sei auch der Austausch mit Gleichaltrigen, in so
            genannten »Peer Groups«. Räumliche Möglichkeiten sollten
            geschaffen werden.
             Langer Atem, keine großen Fiktionen,
            sondern kleine Wege und vor allem eigene Beiträge seien notwendig,
            um etwas zu verändern: Hinschauen, tolerant sein, auch gegenüber
            solchen, die vielleicht nicht in das gesellschaftliche Bild passen,
            Hilfssysteme in Bezug auf Waffen, Drogen und Medienmissbrauch
            installieren, an den Fähigkeiten der Jugendlichen ansetzen, dessen
            Persönlichkeit stärken. Unter dem Motto »Erst fördern, dann
            fordern« hätten junge Menschen die Chance, selbstbewusste und
            kritische Mitglieder der Gesellschaft zu werden. edl 
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