Die Entwarnung ist ein Bluff

Man muss sich das bildhaft vorstellen: Völlig überraschend stößt das bayerische Kultusministerium kurz vor dem Ende des Schuljahres auf 14 000 unplanbare Schüler, die nur acht Wochen später die Grund- und Mittelschulen besuchen werden. Jetzt muss natürlich gehandelt werden. Allerdings diktiert die Bedingung der bayerischen Staatsregierung, dass keine neuen Schulden gemacht werden dürfen, alle weiteren Planungen. Also erste Maßnahme: Für die etwa 850 zusätzlich benötigten Lehrer werden 250 neue Lehrerstellen eingerichtet. Aber zu dumm, es fehlen immer noch 600 Lehrer. Gut, dann wird eben die Schüler-/Lehrerstundenrelation reduziert. Sie lag im vergangenen Schuljahr bei 1,8 und sollte zwar zur Verbesserung des Unterrichtsangebots deutlich erhöht werden. Was soll's - im kommenden Schuljahr liegt sie eben bei 1,7. Das bedeutet weniger Lehrer pro Schüler und ergibt pro 100 Schüler eine Einsparung von fast einer halben Lehrerstelle. Außerdem werden Lehrerreserven für Ausfälle, Vertretungen usw. deutlich abgebaut. Und schon kann Kultusminister Spaenle wieder frohgemut in Pressemitteilungen »Entwarnung« und »Unterricht ist gesichert« verkünden.

Die Entwarnung ist ein Bluff. Und der Unterricht an bayerischen Schulen wird auf Sparflamme gesichert. Die an den Schulen, Schulämtern und Bezirksregierungen in wochenlanger Arbeit erstellten Einsatzpläne zum neuen Schuljahr sind Makulatur und müssen in den Sommerferien wieder aufwändig neu erstellt werden. Die Planungen müssen unter der Vorgabe eines verschlechterten Unterrichtsangebots gemacht werden. Es ergibt sich die groteske Situation, dass einige Schulen händeringend nach fehlenden Lehrern suchen - zum Ferienbeginn waren das allein im Schulamtsbezirk Aschaffenburg sechs. Andere Schulen haben durch die geänderte Stundenzuweisung ungeplanten Überhang an Lehrern. Viele Lehrer begeben sich in ihre Ferien und wissen nicht mehr, ob und wo sie danach weiter beschäftigt werden. Es folgen empörte Reaktionen von Lehrerverbänden, Brandbriefe von Schulleitern und sogar Hilferufe von Schulrektoren an das Kultusministerium. Eine Schulleiterin im Landkreis Augsburg lehnt es ab, unter den vorgegebenen Rahmenbedingungen weiterzuarbeiten und kündigt. Verunsicherung und Desorientierung bestimmen für viele Lehrer und Schulleiter eine Zeit, in der sie eigentlich Erholung und Ruhe von den Anstrengungen des vergangenen Schuljahres suchen.

Dabei wäre die Lösung dieses dilettantisch selbst verschuldeten Planungsproblems denkbar einfach. Es gibt mindestens 1.600 fertig ausgebildete Lehrer in Bayern, die auf eine Anstellung warten. Sie könnten den dringenden Bedarf decken. Nur ein Fünfzigstel der 2.200 Millionen Euro Steuermehreinnahmen, die der bayerische Staat gegenüber früheren Steuerschätzungen erzielt hat, wäre ausreichend, 1.000 Lehrkräfte für Grund- und Mittelschulen zusätzlich einzustellen. Allerdings steht dieser Maßnahme das Diktat des Sparzwangs entgegen. Die populistische Forderung von Seehofer und Söder nach einem »ausgeglichenen Haushalt« setzt sich bedenkenlos über eine bedarfsgerechte Bildungspolitik hinweg. Die Leidtragenden sind vor allem die Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer an den Schulen.

Es bleibt zu hoffen, dass in den wenigen nächsten Wochen vor Schuljahresbeginn die Verantwortlichen im Kultus- und Finanzministerium doch noch einigermaßen zu Verstand kommen. Und falls nicht, dass ihnen spätestens im nächsten Jahr durch die Wähler eine deutliche Quittung für ihre rücksichtslose Politik präsentiert wird.

Martin Hahn, Pressesprecher des GEW Aschaffenburg, Liesgrundstr. 1, 63825 Schöllkrippen

veröffentlicht im MAIN-ECHO am 20.08.2012: