Kitzinger Zeitung vom 20.02.2010
Ein Risiko bleibt immer bestehen
Warum Verbrechen an Schulen nicht völlig verhindert werden können

"Ein Kollege von uns ist ums Leben gekommen" - Rudolf Brandenstein, der stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Unterfranken, macht einen betroffenen Eindruck. Der Tod des 58-jährigen Berufsschullehrers, der am Donnerstag in einem Ludwigshafener Schulgebäude von einem ehemaligen Schüler erstochen wurde, geht ihm nahe. Die Lehrergewerkschaft GEW nimmt diese Bluttat zum Anlass, erneut Forderungen auszusprechen, wie sie es nach dem Amoklauf an Schulen in Erfurt und in Winnenden getan hat: Gewaltprävention, Unterstützung der Lehrkräfte durch Schulsozialarbeit, koordiniertes Vorgehen aller Verantwortlichen auf Landes-, kommunaler und Schulebene, die Installation eines Vorwarnsystems sowie Beratung für Lehrer, wie sie sich im Ernstfall zu verhalten haben. Dabei sind die meisten dieser Punkte schon in den vergangenen zwei Jahren realisiert worden. Am Gymnasium Marktbreit ist laut Schulleitung nach der Amok-Androhung im Juni 2008 in breitestem Rahmen ein Sicherheitskonzept erstellt worden. Die Schulleitung hat sich mit der Polizei zusammengesetzt, verschiedene Arten von Notfällen durchexerziert, Lehrer in Erster Hilfe und Schüler als Schulsanitäter ausgebildet und das Fluchtwegesystem überarbeitet. Das Kollegium ließ sich durch den Leiter der staatlichen Schulberatungsstelle für Unterfranken über vorbeugende Maßnahmen fortbilden. Und die Schulpsychologin hat Projekttage mit den Schülern durchgeführt. Wenn etwas passieren sollte, so wüsste das Krisenteam genau, was zu tun ist, teilt Monika Rahner vom Direktorat des Gymnasiums Marktbreit mit. Damit Amokläufe an Schulen nicht mehr schreckliche Wirklichkeit werden können, wird an den Bildungseinrichtungen zweigleisig vorgebeugt. Zum einen gibt es die im Äußeren wirkenden Maßnahmen wie etwa das Absperren von Eingangstüren, zum anderen die im Inneren greifenden Strukturen, die sich meist auf psychologischer Ebene bewegen. An jeder Grund- und Hauptschule im Landkreis Kitzingen sei ein Sicherheitsbeauftragter tätig, gibt Schulamtsdirektorin Irma Amrehn bekannt. Die meisten Grundschulen hätten ihre Eingangstüren ab 8 Uhr nach Unterrichtsbeginn abgeschlossen. Auch die Hauptschulleiter seien dazu angehalten, diese äußere Vorsichtsmaßnahme zu ergreifen, damit Unberechtigte nicht in die Gebäude eindringen könnten. Auch Amrehn berichtet von den Kriseninterventionsteams, die aus je drei Personen bestehen und für alle Schularten in allen bayerischen Regierungsbezirken eingerichtet worden seien. Außerdem hingen in den Schulen die gelben Informationsblätter mit den Notfall-Rufnummern aus. Das soll bedeuten: Ein Amokläufer dürfte normalerweise bei der Ausübung seiner schrecklichen Tat nicht mehr allzu weit kommen. "Es wäre der Super-Gau, wenn so etwas bei uns passieren würde", gibt Johann Seitz, Ministerialbeauftragter für Realschulen bei der Regierung von Unterfranken, zu. Bei seinen Auskünften ist zu spüren, dass er sich bewusst ist, dass immer ein Risiko bleibt. Jede Schule habe ein eigenes Sicherheitskonzept, das regelmäßig aktualisiert werde, sagt Seitz. Bei jeder Dienstbesprechung sei das der wichtigste Hinweis. Dennoch könnte es passieren, dass ein Nachahmer oder Trittbrettfahrer gewollt Angst und Schrecken verbreite. "Gymnasien kann man nicht abschließen", gibt Rudolf Schmitt, der Ministerialbeauftragte für Gymnasien, zu. In allen weiterführenden Schulen und Schulkomplexen bestehe dieses Problem, dass dadurch auch Straftäter Zugang in die Gebäude haben. Denkbar wäre es, nur einen Zugang offen zu lassen und somit eine gewisse Zugangskontrolle zu haben. Möglich sei auch eine bauliche Veränderung der Klassenzimmertüren durch einen Knauf auf der Gangseite und durch einen Türspion innen. Dies empfehle jedenfalls die Polizei. Es gebe auch Schulen, die Code-Wörter für die Alarmierung hätten, mit denen etwa das Eindringen einer bewaffneten Person gemeldet werden könne. Auch Schmitt gesteht, dass es trotzdem ein hohes Risiko an Schulen gebe, mit einem Verbrechen konfrontiert zu werden. Eine der Ursachen sei, dass die Hemmschwelle, die für die Ausübung einer so grausamen Tag überwunden werden müsse, in der jüngeren Vergangenheit gesunken sei. Rudolf Brandenstein von der Lehrergewerkschaft GEW, sagt, der Lehrerberuf berge Gefahren, weil die Schulen zum Brennpunkt gesellschaftlicher Aggressionen würden. Brandenstein, der seit über 30 Jahren Hauptschullehrer in Ochsenfurt ist, hat weitere Ursachen für die Verrohung junger Menschen ausgemacht: "In unserem Schulsystem mit der allzu frühen Auslese werden viele Schulversager erzeugt." Der wichtigste Ansatz für eine Lösung ist für ihn mehr Geld für die Bildungseinrichtungen.