Erbitterter Streit um Waldorf-Pädagogik: Auf dem Weg zum »vollendeten Menschen« oder »destruktiver Kult«?

Anthroposophen-Kritiker Michael Grandt legte reichlich Zündstoff ­ Befürworter: »Kein ausgewogenes Podium«

Sind Waldorf-Schulen Weltanschauungsschulen, die sich in ihrer anthroposophisch ausgerichteten Pädagogik okkulter Anteile bedienen? WaldorfKritiker Michael Grandt beantwortete diese Frage bei einer Veranstaltung des GEW-Kreisverbands Aschaffenburg mit einem klaren »Ja«. Der Journalist wendet sich daher strikt gegen die staatliche Förderung dieser alternativen Schulform. Seine Begründung: »Ich bin gegen jede Einschränkung freiheitlicher Weltanschauung.«

Mit seinem Referat über die Weltanschauung des Anthroposophen Rudolf Steiners und deren Einfluß auf Pädagogik und Lehrplan der Waldorf-Schulen bot Michael Grandt am Mittwoch abend im Aschaffenburger DGB-Haus genug Zündstoff für eine streckenweise erbitterte Diskussion, zumal im Aschaffenburger Stadtteil Gailbach ein Waldorf-Kindergarten arbeitet. Rund 70 Gewerkschaftsmitglieder waren der Einladung des Kreisverbandes Aschaffenburg-Miltenberg der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) gefolgt, um der Definition des Begriffes »Waldorf-Pädagogik« ein Stück näherzukommen.

Daß Michael Grandt seinem Informationsauftrag nur einseitig Rechnung getragen habe, lautete einer der massivsten Vorwürfe aus den Reihen des Publikums. Als Kakophonie, mit der nichts anzufangen sei, mußte Grandt seine Zitatenauswahl aus Rudolf Steiners Werk bezeichnen lassen. »Sie beschädigen Ihr Arbeitsgebiet, als Journalist der Wahrheit verpflichtet zu sein.«

An den GEW-Kreisverband erging die Kritik, dem Thema »Waldorf-Pädagogik« kein ausgewogenes Podium gegönnt zu haben. »Warum ist dazu kein Anthroposoph eingeladen worden?« Doch Michael Grandt war nicht zu verunsichern. Mit der Vehemenz der »Waldorfianer« seien er und sein Bruder Guido Grandt seit 1995 ständig konfrontiert. Ihr »Schwarzbuch Anthroposophie« sei gar in erster Auflage gerichtlich verboten worden.

»Offenbar sollen wir als Kritiker mundtot gemacht werden.« Diese Penetranz seitens der Justiz habe die beiden Autoren jedoch eher neugierig gemacht.

»Meine Kritik an der Waldorf-Schule will ich nicht verheimlichen«, formulierte Grandt ­ und verglich die Anthroposophie mit »anderen destruktiven Kulten«. »Sie stellt für mich eine Weltanschauungsschule dar, die ­ wie Konfessionsschulen ­ nicht von Steuergeldern finanziert werden soll.« Immerhin handele es sich um jährlich 450 Millionen Mark von seiten des Staates.

Im Sektenhandbuch

Bedenken hegten überdies die Kirchen: »Die Anthroposophie steht schließlich im Sektenhandbuch.« Übersinnliche Wirklichkeit? Doch was ist Anthroposophie? Grandt: »Sie ist eine allgemeine und umfassende Menschenkunde, die von dem 1925 verstorbenen Rudolf Steiner begründet wurde.« Steiner habe es auch mit dem Begriff »Menschenerkenntnis« übersetzt. Sie gelte als Weltanschauungslehre und als Wissenschaft vom Menschen und beruhe auf der Erkenntnis, die den Erfahrungsbereich auf die übersinnliche Wirklichkeit des Geistigen ausweite und die Naturwissenschaften ergänze.

Mit einer zweifelsfrei einseitigen, kritisch angelegten Auswahl spezieller Steiner-Zitate dokumentierte Grandt seinen Zuhörern jene Weltanschauung, die für Waldorf-Pädagogen Grundlage der Ausbildung ist. Habe der »Geisteswissenschaftler« in die übersinnliche Welt geschaut und reichlich Kenntnisse erworben, werde sein »Astralleib« im nächsten Leben mit besonderen Begabungen dieser Art wiedergeboren.

Diese Erkenntnis führe nach Rudolf Steiner das Geistige im Menschenwesen zum Geistigen im Weltall und eröffne Zugang zu einem geheimen, verborgenen, esoterischen Wissen. Das Karma als Bindeglied der geistigen Welten, Engel und Erzengel als bereits zu größerer Vollkommenheit gelangte Menschengeister ­ Fragmente, die für Grandt nur eines beweisen: »Anthroposophie hat okkulten Hintergrund.«

Soll das Kind künstlerisch und erzieherisch zum vollendeten Menschen geformt, in ihm das göttlich Geistige herausgebildet werden, und ist gar vom »lebendigen Werkstück« die Rede, so hielt Michael Grandt das für sehr bedenklich.

Nach der tatsächlich praktizierten Anthroposophie in den 180 deutschen und weltweit 700 Waldorf-Schulen gefragt, hielt sich Michael Grandt bedeckt. Nur einige Zitate kritischer Eltern und Schüler führte der Autor ins Feld, um die nachteilige Beeinflussung der Kinder durch übersinnliche Menschenerkenntnis und Weltenbestimmung zu belegen.

Für Grandt bezeichnend: die Strukturierung, die Einteilung der Kinder in Temperamente. »Das melancholische Kind ist nach Steiner schlank und dünn, das cholerische Kind von untersetztem Körperbau.« Die Temperamente würden in Gruppen vereint, um sich in Selbstkritik zu üben und einander abzuschleifen. Mädchen und Jungen würden getrennt. »Das erleichtert angeblich den Unterricht, doch wo ist der Sinn?«

Laut Lehrplan, so Grandt, müßten Waldorf-Schüler nicht vor dem zehnten Lebensjahr schreiben und lesen können. In der Pflanzenkunde erlebten sie die sichtbar geworden Seelenwelt der Erde, mit »Eurythmie« offenbarten sie ihr übersinnliches Inneres. Ihre Phantasie beflügelten die Kinder mit anthroposophisch angelegten Märchen und Mythen, und ihre Zeugnisse beinhalteten eine Beurteilung ihrer Charakter- und Wesenszüge.

Was Grandt erst auf Anfrage vervollständigte: Auch die staatlich vorgeschriebenen Zensuren würden an Waldorf-Schulen vergeben ­ wohl, um die Fördermittel zu sichern. Den üblichen zwölf Schuljahren könne ein dreizehntes Abiturjahr angehängt werden. Und das, so überzeugte Waldorf-Eltern aus dem Publikum, belege wiederum den Bildungsauftrag des Lehrplanes.

Überholt und unwahr sei demnach auch die verbreitete Meinung, finanzkräftige Eltern bescherten ihren Kindern in Waldorf-Schulen ein »sanftes« Abitur.

Was Gegner und Befürworter unwidersprochen ließen: Wer sein Kind an einer Waldorf-Schule anmeldet, sollte gut betucht sein. Die staatliche Unterstützung bedürftiger Eltern sei eher mager bemessen, ergänzte der Referent.

»Können sich Kinder wehren?«

Obwohl Waldorf-Pädagogen von anthroposophischer Gesinnung durchdrungen sein sollten, räumte Grandt der praktischen Umsetzung in den Schulen Unterschiede ein. Nicht generell könne behauptet werden, daß Waldorf-Schüler dieser antiquierten Geisteswissenschaft ausgeliefert seien. »Aber wer kann ausschließen, daß anthroposophische Tendenzen in den Unterricht einfließen?«

Und wieder zitierte der Referent ­ diesmal einen ehemaligen Waldorf-Schüler: »Die anthroposophische Pädagogik legt nicht eben viel Wert auf eigene Köpfe, auf individuelle Weltanschauung, auf Kreativität. Können sich Kinder wehren gegen die Erziehung aus einer bestimmten Geisteshaltung, haben sie eine andere Wahl?« dl