Globalisierung

Die Praxis in Nicaragua

Nicaraguas konservative Regierung setzt auf eine exportorientierte Wirtschaft. Das klingt für unsere Ohren zunächst nicht bedrohlich, weil Exportüberschüsse hierzulande Wohlstand für viele bedeuten. In Mittelamerika sieht die Praxis jedoch so aus: Länder wie El Salvador, Honduras und Nicaragua öffnen sich multinationalen Konzernen, die dort bei niedrigen Löhnen, schlechten Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten und völlig abgabenfrei Schuhe, Sweatshirts oder Kleider für den Weltmarkt produzieren lassen. Diese Fertigungsbuden der Multis, die "Maquiladoras", ziehen immer mehr Menschen an - vor allem junge Frauen. Sie wollen sich in Städten wie Managua, San Salvador oder Tegucigalpa das Lebensminimum verdienen.

Verkehrte Welt

Auf dem Land wird entweder ebenfalls für den Export produziert - von Kaffee über Baumwolle bis zu Fleisch. Oder der Boden liegt brach, weil die Landarbeiter samt Familien in den Städten ihr Glück versuchen. Das hat zur Folge, dass Nicaragua heute schon etwa 60 % des Grundnahrungsmittels Reis von der US-amerikanischen Foodindustrie bezieht. Auch Soya und Mais verkaufen die internationalen Multis zu kaum unterbietbaren Preisen. Die Folgen sind fatal, wenn ein ganzes Volk die Fähigkeit zur Selbstversorgung mit Lebensmitteln verliert. Dazu kommt, dass sich das Agrobusiness auf einige wenige Hochleistungssorten beschränkt und so die Artenvielfalt stark reduziert. Ein ökologisches Problem, das uns alle angeht.
Panamerikanischer Frei-handel - ALCA und PPP
Wer einmal die Selbstversorgung aufgibt, kommt aus der Abhängigkeit nicht mehr heraus. Wer vom Export leben will, muss sich dem Freihandel öffnen. Auf dem Weltmarkt bestimmen ausschließlich die Großen die Bedingungen. Noch bestehende nationale Schranken sollen einer gemeinsamen amerikanischen Freihandelszone von Alaska bis Feuerland weichen (Area de Libre Comercio de las Americas, Alca).

So flott wie von der US-Regierung unter George Bush gedacht, kommt Alca jedoch nicht voran: Zu gravierend sind die wirtschaftlichen und politischen Probleme in Südamerika - von Argentinien bis Venezuela. Dagegen läuft zu Beginn des 21. Jahrhunderts die Entwicklung in Mittelamerika für die Vereinigten Staaten wunschgemäß. Hier werden mit Hilfe des "Plan Puebla Panamá" (PPP) die Voraussetzungen für den grenzenlosen amerikanischen Freihandel geschaffen - vom mexikanischen Puebla bis zum Panamakanal.
Es geht darum, eine leistungsfähige Infrastruktur zu schaffen - Straßen, Kanäle, Stauseen, Wasser- und Stromnetze. Das klingt auf den ersten Blick nicht schlecht, um ein "Entwicklungsland", wie Nicaragua es beispielsweise ist, voran zu bringen. Der zweite Blick allerdings offenbart, dass nicht bessere Lebensbedingungen für das Gros der Bevölkerung das Ziel sind. Die "kleinen Leute" haben weder etwas von einem gigantischen Autobahn-Ring, der um El Salvadors Hauptstadt gelegt wird, noch vom Ausbau der Panamericana für Schwertransporter.

Zunehmende Privatisierung

Der Pferdefuß beim Ausbau der Wasser- und Stromversorgung - größtenteils mit internationalen Entwicklungshilfegeldern - heißt Privatisierung. So hat etwa die deutsche Kreditanstalt für Wiederaufbau, die im Norden Nicaraguas, in Matagalpa, das neue Wassernetz finanzierte, ausdrücklich vertraglich festgelegt, dass nicht die Kommune, sondern ein privates Unternehmen die Wasserversorgung betreibt. Und das muss eben von den Verbrauchern einen hohen Preis verlangen, um Profit zu machen. Der Widerstand der Bevölkerung wächst: "El agua es vida. La vida no se privatice" (Wasser ist Leben. Und das Leben privatisiert man nicht.) Doch gegen wen kann der Protest sich erfolgreich richten? Gegen den Unternehmer, der eine ihm angebotene Möglichkeit zum Geldverdienen nützt? Gegen die Kommune, die nichts anderes tut, als den Vertrag mit den Deutschen zu erfüllen? Gegen die Kreditanstalt für Wiederaufbau - von Matagalpa aus?
Das Beispiel zeigt, wie dringend es für die Solibewegung hierzulande ist, sich mit den komplizierten und sperrigen Zusammenhängen der globalisierten Wirtschaft im Allgemeinen und des internationalen Freihandels im Besonderen auseinander zu setzen. Wir sollten es übrigens auch uns zu liebe tun: Weil die sog. "Dritte Welt" ein Experimentierfeld ist für Strategien, die unter dem Slogan des "liberalisierten Weltmarktes" künftig auch uns drohen - nicht nur bei der Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen.

Helga Ballauf

www.diriomito.de