Nicaragua-Delegation der GEW 17. bis 26. Juli 2000
Bericht Albrecht Sylla, GEW Bayern

Delegationsteilnehmer/innen:
Dr. Eva-Maria Stange, GEW-Vorsitzende, Christel Faber (HV), Anna Ammon (Hamburg), Dr. Christoph Heise (HV), Rainer Dahlem (Baden-Württemberg), Rüdiger Schütz (Thüringen), Albrecht Sylla (Bayern)

Besuche und Gespräche bei nicaraguanischen Gewerkschaften

CGTEN-ANDEN, Managua (Hauptvorstand)
Gesprächspartner/innen: José-Antonio Zepeda (Vorsitzender), Manuel Rivas Tijerino (Finanzsekretär), Brigida (Estelí), Antonia (Granada), Benito (Nueva Segovia), Rosa-María Hernandez (León)

 

Das Haus der CGTEN-Anden in Managua ist von der Straße her frisch gestrichen, das ANDEN-Logo von weitem sichtbar. In der Zentrale arbeiten 5 Beschäftigte, zwei sind als Lehrer freigestellt, der Staat zahlt ihr Gehalt weiter. Das ist neu. Die zwei "weißen" Gewerkschaften haben dieses Privileg schon länger. Diese regierungsnahen Gewerkschaften werden vom Ministerium mit allen denkbaren Mitteln unterstützt: Freistellungen, Büroausstattung, Handys, Flugreisen, Autos. Alles soll dazu dienen, ANDEN das Wasser abzugraben. Dennoch nimmt ANDEN an Mitgliedern zu, die "weißen" Gewerkschaften verlieren Mitglieder. ANDEN ist in 120 von 140 Gemeinden präsent. Die anderen Gewerkschaften treten fast ausschließlich in Managua in Erscheinung.

Bildungspolitik: Die Bildungsreform des Staates hat die Dezentralisierung und Entstaatlichung zum Ziel. Finanzlasten werden auf Kommunen und Eltern abgewälzt. Mit dem "Gesetz der Beteiligung", "La ley de la participación" wird nicht die demokratische Beteiligung der Betroffenen gesucht, sondern die Eltern werden über das Schulgeld in die Pflicht genommen. Die Lehrer/innen müssen das Schulgeld eintreiben, wodurch sich das Verhältnis Lehrer/Eltern verschlechtert hat. Die Höhe des Schulgeldes wird von den einzelnen Schulen festgesetzt und liegt zwischen 2.- und 4.- DM pro Kind und Monat. Für Examen, Kopien, Ausflüge etc. wird noch einmal Geld erhoben. ANDEN sieht in o.g. Gesetz einen Schritt zur Privatisierung des Schulwesens. In dieselbe Richtung geht auch die von der Regierung propagierte Autonomie der Schulen. Deren Ausgestaltung wird unten am Beispiel des INO in León dargestellt. Die Regierung wünscht, dass sich Schulen zusätzliche, neue Geldquellen erschließen.
ANDEN führt die Auseinandersetzung mit dem Ministerium öffentlich, via Medien, nicht in direktem Gespräch. Die Gewerkschaft hat einen eigenen Gesetzentwurf eingereicht, der eine Beteiligung aller Betroffenen und an Bildungsfragen Interessieren beabsichtigt. Alle gesellschaftliche Sektoren müssen in Sachen Bildung an einen Tisch!
Lehrergehälter: Seit 99 gibt es heftige Auseinandersetzungen um Gehaltserhöhungen. Gegenwärtig liegen die Gehälter für die Grundschullehrkräfte bei umgerechnet durchschnittlich 55 US $ monatlich und für die Sekundarschullehrkräfte bei 60 US $. Sie decken nur etwa 60% des amtlicherseits errechneten Wahrenkorbes.
Insgesamt gliedern sich die dem Arbeitsministerium von ANDEN vorgelegten Forderungen zu Fragen des Gehaltes und des Arbeitsrechts in 14 Abschnitte. ANDEN fordert jetzt u.a.:
eine stufenweise Gehaltserhöhung von 200%, ein Basisgehalt von 80 bis 140 US $, ein neues Eingruppierungssystem, einen Preisnachlass von 50% bei Wasser und Strom, Mutterschaftsgeld, Wiedereröffnung von Läden für Lehrkräfte. Die hohe Lohnforderung wird auch damit begründet, dass der Erziehungsminister 70 mal mehr verdient als eine/r seiner Lehrer/innen.

ANDEN in Masaya hat immer noch das Haus des Lehrers neben dem Rathaus, wobei es sichtlich schwerfällt, das Gebäude zu erhalten. Viele Schäden am Bauwerk oder die mittlerweile zerfallene Theaterbühne im Hof können mangels Finanzmittel nicht gerichtet werden. Aus Gewerkschaftskreisen wurde eine Sterbekassenkooperative gegründet. In einem Raum des Gewerkschaftshauses sahen wir ein Sarglager. Im Sterbefall von Kooperativenmitgliedern und deren Angehörigen, ist über die Versicherung für die Bestattung gesorgt. Auch Nichtmitgliedern wird diese Dienstleistung angeboten, wodurch die Kooperative Einnahmen hat, die auch der Gewerkschaft nutzen. ANDEN Masaya gibt Gewerkschaftsmitgliedern, deren Häuser vom Erdbeben zerstört oder in Mitleidenschaft gezogen sind Unterstützung. Im Gewerkschaftshaus sind Zement und andere Baumaterialien eingelagert. Die Mittel für diese Hilfe kommen aus dem Ausland, auch von der GEW. Bei unserem Besuch konnten wir 1.250 US $ (GEW Bund und GEW Unterfranken) übergeben.

ANDEN in Juigalpa: Die Gewerkschaft in Juigalpa ist in wesentlich schwächerer Verfassung als vor Jahren. Nur noch drei Kolleginnen sind im Vorstand aktiv. Vorsitzende ist Yolanda Calero Montiel. Margarita Aguilar García, die lange Zeit als Vorsitzende fungierte, ist jetzt für die Finanzen und das Kindertagesstättenprojekt zuständig. Sie steht für die Kommunalwahlen im November an erster Stelle der FSLN-Liste. Der Wahlkampf wird sie stark in Anspruch nehmen, die Gemeinderatsarbeit wird auf Kosten der Zeit gehen, die sie für die Gewerkschaft einbringen kann, gehen. Bürgermeisterkandidat der FSLN ist im Übrigen ein Universitätsprofessor, ANDEN-Gründungsmitglied, mit sehr gutem Rückhalt in der Bevölkerung. Eine Woche nach unserem Besuch sollten bei ANDEN in Juigalpa Vorstandswahlen stattfinden. Die Kandidaturen waren noch nicht geklärt. Über das Ergebnis liegt noch keine Information vor. Das Haus der Gewerkschaft ist in gutem Zustand, ebenso das Gebäude der Kindertagesstätte "Hermandad Sindical ANDEN-GEW" und die große, offene Versammlungshalle auf dem Gelände hinter dem Gewerkschaftshaus. Die mit unserer Unterstützung getätigten Investitionen sind deutlich sichtbar.
Viele Schulen gerade im ländlichen Bereich müssen aufgrund fehlender Anmeldungen von Kindern schließen. Es ist aber nicht so, dass es weniger Kinder gibt, im Gegenteil, es gehen nur immer weniger Kinder zur Schule. Auch im Bereich der Abendschulen für Erwachsene (ab dem 12. Lebensjahr), in dem versäumte Bildungsanteile nachgeholt werden können, nimmt der Schulbesuch drastisch ab. Es lohnt sich nicht mehr, zur Schule zu gehen, denn ob mit oder ohne Schulbildung steht man hinterher ohne Arbeit da.

ANDEN in León: (Bernarda, Rosa und Pedro, Vorstandsmitglieder der Föderation)
Die Autonomie wird für alle Schulen von oben her durchgedrückt. Das "Gesetz der Beteiligung" ist ein Gesetz für die Schulautonomie. Folge ist auch eine Dezentralisierung der Verwaltung, eine Art Schulforum verwaltet die Schulen.
Der Arbeitsplatz der Lehrer/innen ist an die Schülerzahl gekoppelt. Bleiben zu viele Schüler weg, werden Lehrer entlassen. Manchmal werden Noten verschenkt, um Schüler zu halten.
Wenn das Geld für die Lehrkräfte nicht rechtzeitig an die Schule kommt, werden Aktivitäten gestartet (Lotterien, Verlosungen), um etwas Geld hereinzubekommen, mit dem dann wenigstens die Sozialversicherungen bezahlt werden können.
In der autonomen Schule müssen die Lehrer/innen sehr viel Zeit für die Schulorganisation aufbringen, für Gewerkschaftsarbeit ist dann kaum noch Energie vorhanden. Das ist wohl auch so beabsichtigt.
Am 28. Juni rief das Ministerium Eltern, Schüler und Lehrer zu einer Demonstration für das "Gesetz der Beteiligung" nach Managua. Eine Propagandashow mit gekauften Klatschern.
Am Tag danach demonstrierten 1000 Lehrer/innen gegen dieses Gesetz, für eine Verbesserung der Bildungsfinanzierung und der wirtschaftlichen Situation der Lehrkräfte. Diesen Demonstranten wurde mit Entlassungen gedroht.

FNT (Frente Nacional de los Trabajadores), Gewerkschaftsdachverband:
Sieben Einzelgewerkschaften haben sich zu diesem Gewerkschaftsbund zusammengeschlossen: u.a. die Lehrergewerkschaft ANDEN, die Gewerkschaft der Universitätslehrer, die Gewerkschaft der Landarbeiter, die Gewerkschaft der Beschäftigten in den öffentlichen Verwaltungen, die Gewerkschaft der Beschäftigten im Gesundheitswesen. Insgesamt gibt es in Nicaragua 13 Gewerkschaften, die 6 nicht der FNT angeschlossenen Gewerkschaften sind sog. weiße oder gelbe Gewerkschaften, die regierungsabhängig sind.
Die FNT nannte sich bis vor kurzem sandinistischer Gewerkschaftsbund. Diese Orientierung auf die sandinistische Partei wurde wegen des umstrittenen Paktes zuwischen den Sandinisten (FSLN) und der regierenden Liberalkonstitutionelle Partei (PLC) des Präsidenten Alemán aufgegeben.
Am 19. Juli (Nationalfeiertag) nachmittags Besprechung im Hause des FNT-Vorsitzenden, einer ehemaligen Somoza-Villa in den grünen Hügeln vor der Stadt; die Konrad Adenauer-Stiftung ist ganz in der Nähe. Teilnehmer/innen: FNT-Vorsitzender Dr. Gustavo Porras, FNT-Geschäftsführer José Angel Bermudez, Vorsitzender der Landarbeitergewerkschaft Edgerdo García, Familienmitglieder. Das Gespräch fand in einer familiären Feiertagsatmosphäre im Garten statt. Der FNT-Vorsitzende ist Direktor der chirurgischen Abteilung einer großen Klinik in Managua, er gehört dem FSLN-Vorstand an. Auf weite Strecke herrscht in der FNT die Meinung vor, dass die Führung der FSLN sich weit von der Parteibasis und der Bevölkerung entfernt habe. Die Sandinistenspitze macht ihre politischen Geschäfte lieber mit Personen aus der gehobenen Gesellschaft in intimen Verhandlungen an eleganten Orten als in mühsamer Rücksprache mit der Basis. Die Gewerkschaften sehen sich als einzige kritische Gegenmacht zu einer derart abgehobenen Politik. Nationale und insbesondere internationale Gewerkschaftsfragen waren Gesprächsgegenstand. Der Wunsch nach engerem Kontakt zu den internationalen Gewerkschaftsorganisationen, auch zu deutschen Gewerkschaften insbeondere zum DGB wurde betont.

Gespräche mit dem Vertreter der UNESCO
Das Büro der UNESCO liegt im Gebäudetrakt des Erziehungsministeriums.
Dr. Juan Bautista Arríen war früher Rektor der renommierten katholischen Universität UNCA in Managua (Jesuit). In dem einstündigen Gespräch spricht er sehr präzise in brillanter Sprache über die aktuelle Situation im Bildungssektor Nicaraguas bzw. Mittelamerikas.
Dr. Arrién spricht ANDEN großes Lob aus: sie ist die unabhängige, klare und einflussreiche Gewerkschaft. Die anderen Gewerkschaften dienen sich der Regierung an und verlieren jeden Einfluss.
Er kritisiert aber auch die Gewerkschaft: ANDEN verliert zeitweise den strategischen Fokus, baut zu oft Barrieren auf und sucht zu wenig die Brücken, die verbinden.
In der Bildungspolitik stehen wir in Nicaragua gegenwärtig an einem ganz wichtigen Punkt. Drei große Instrumente wurden von der Politik für die Gestaltung der Bildung geschaffen:
1. der nationale Erziehungsplan (Plan nacional de la educación)
2. das Erziehungsgesetz (Ley de la educación)
3. das Gesetz der Beteiligung (Ley de la participación)

Der nationale Erziehungsplan entstand nach den Verwüstungen durch den Hurrikan Mitch, in einem Moment, in dem das Land in jeder Hinsicht verletzlich war, sich aber auch die Möglichkeit anbot, es unter vielerlei Aspekten neu zu gestalten. Der Erziehungsminister Alvararo (?) hatte eine politische und persönliche Vision für Veränderungen. Er lud sämtliche, an der Bildung interessierte Sektoren zur Beteiligung ein. Er beabsichtigte die Beteiligung der Lehrer am Prozess der Reform, auch was die Evaluation des Prozesses angeht, die Beteiligung der Eltern, der Schüler, der Gemeinden, die Beteiligung der gesamten Zivilgesellschaft.
Das Reformprogramm hatte 5 Schwerpunkte:
a) die Verbesserung der Erziehungsqualität, die Verbesserung der Lehrpläne
b) die Sicherstellung von Bildung und Schulerfolg für alle in allen Teilen des Landes
c) die Professionalität der Lehrer/innen, die Absicherung deren Würde
d) das Handeln im Bildungswesen
e) Wissenschaft und Technologie
Der Minister scheiterte politisch, seine Visionen waren zu progressiv, er wurde 1999 abgesetzt. War der alte Minister Politiker, so ist der neue, Fernando Robleto (?) ein Wirtschaftler, ein Technokrat. Die politischen Visionen sind nun abhanden gekommen. Die Bildungspolitik, das Beteiligungsgesetz, das Bildungsgesetz sind technokratisiert und vorrangig ökonomischem Kalkül unterworfen worden. Der neue Minister ist ganz den Vorgaben der "Geberorganisationen" Weltbank, IWF... ausgeliefert. Im Erziehungsministerium herrscht Monotonie.

Eigentlich wären in Nicaragua für alle Schüler/innen 11 Jahre Schulbesuch möglich: 3 Jahre Basisbildung, 2 Jahr Orientierungsstufe und 6 Jahr Sekundarstufe. Jedoch besucht weniger als die Hälfte der Schulpflichtigen überhaupt die Grundschule, weniger als 40% davon schließen die 4. Klasse ab, und nur 35 % gehen bis zur 6. Klasse. Die durchschnittliche Schulbesuchsdauer ist zwei Jahre! Ursache ist die elende Armut. Offiziell leben 50%, inoffiziell 70% der Bevölkerung in Armut. Außerdem ist die Schule in Nicaragua gegenwärtig nicht attraktiv. Sie vermittelt zu wenig, was für das Leben, für eine Ausbildung, ein Studium nutzt. In den Städten gehen die Schüler, welche die 4. Klasse passiert haben, später auch auf die Sekundarschule. Nicht so auf dem Lande. Dort gibt es praktisch keine Sekundarschulen. An der Universität (UNAN)in Managua bestehen von 3.000, die zur Aufnahmeprüfung antreten, nur 25! Das sagt viel über die Schulqualität aus.

Über 1 Million Menschen in Nicaragua sind Analphabeten. Nach der mittelamerikanischen Belli-Untersuchung können mehr als 36% der über 10-jährigen weder lesen noch schreiben. Die Regierung gibt eine 30%ige Analphabetenrate an. Alphabetisierungsprogramme für Erwachsene gibt es in bescheidenem Umfang, finanziert von Spanien und einigen internationalen Organisationen.

Privatschulen: Hauptproblem sind nicht die Privatschulen, sondern die grenzenlose Vernachlässigung der öffentlichen Schulen. Mehr als 30% der Sekundarschulen sind privat, 12% der Grundschulen und 50% der Vorschulen. Lehrer verdienen an Privatschulen das Doppelte oder Dreifache wie ihre Kollegen an den staatlichen schulen. Außerdem sind die Privatschulen hervorragend ausgestattet.

1980 wurde in Nicaragua als erstem Land Lateinamerikas ein Kulturministerium eingerichtet, heute ist Nicaragua das einzige Land Lateinamerikas, das kein Kulturministerium mehr hat. Das Erziehungsministerium (MED) ist jetzt Erziehungs- und Kulturministerium (MECD).

Gespräch mit dem Vertreter der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES)
Julio Villa Nueva: Wie befinden uns in der Vorwahlphase. Zum ersten Mal werden im November Kommunalwahlen unabhängig von den Nationalwahlen stattfinden. Hauptströmungen: PLC (Liberale), Regierungspartei, FSLN (Sandinisten), daneben: Camino Christiano, Partido Conservador, Movimiento Renovador Sandinista, die Nationalistische Liberale Partei, Ex-Contra-Partei und einige lokale Bewegungen. Letztere können an den Wahlen nicht teilnehmen, da sie keine Parteien sind. Alle Parteien müssen, um zur Wahl zugelassen zu werden, die Unterschriften von 3% der Wahlberechtigten bei der letzten Wahl beibringen. Es gibt Manipulationen, um Kandidaten zu verhindern, z.B. wurden kurzerhand die Stadtgrenzen Managuas neu gezogen, um den Bürgermeisterkandidaten der PC auszubooten.
Die G5-Geberländer fordern für die Wahlen Transparenz, Freiheit der Kandidatenaufstellung und Repräsentanz aller gesellschaftlicher Gruppen.

Die Regierung Nicaraguas verhält sich auf dem internationalen Parkett äußerst ungünstig. Sie hält Informationen zurück und erfüllt Auflagen wie z.B. einen Plan zur Armutsbekämpfung nicht. Das häufig unbeherrschte, ja unflätige Auftreten des Präsidenten Alemán stößt national wie international auf Entsetzen und Ablehnung. (In den letzten Tagen unseres Aufenthaltes wurde Alemán von Abgeordneten und den Medien aufgefordert, seinen Geisteszustand von einem Ärztegremium begutachten zu lassen.)

Bei den Gewerkschaften ist die Kompetenz zur politischen Diskussion in den Feldern Soziales, Arbeit, Bildung, Transformation, die Auflagen der G5-Länder und des IWF unzureichend vorhanden. Folglich ist die Möglichkeit zur Einflussnahme zu gering. Die Gewerkschaftsbewegung durchlebte in 25 Jahren die Wirtschaftsstruktur unter der Somoza-Diktatur, den totalen Umbruch, eine Planwirtschaft, die gemischte Ökonomie, die Entstaatlichung und die jetzige marktradikale Politik. Die Gewerkschaften waren kaum in der Lage, auf die tiefen Wechsel rechtzeitig und kompetent einzuwirken. Der Dachverband FNT kann seine Funktion als Koordinationsgremium nur schwer erfüllen. Es gibt aber Querschnittsthemen wie z.B. die Rentenreform, wo die Gewerkschaften gefordert wären, sich massiv einzumischen.
Viele kompetente Gewerkschaftsfunktionäre haben ihre Aufgaben niedergelegt, weil sie von der Gewerkschaftsarbeit nicht leben konnten.
Die FES hat sich in letzter Zeit auf die Unterstützung der FSLN konzentriert. Eine verstärkte Unterstützung der Gewerkschaften ist dringend erforderlich und nach den Wahlen beabsichtigt.

Gespräch mit dem stellvertretenden Erziehungsminister
Anwesend waren der stellv. Erziehungsminister, ein sehr alter Mann, der schon unter Somoza im Ministerium war, zwei Referenten und zwei Protokollantinnen; unsere Delegation, zwei schwedische Kolleginnen, der BI-Vertreter für Lateinamerika aus Costa Rica und José-Antonio Zepeda, ANDEN-Vorsitzender
Das Gespräch offenbarte eine erschreckende Inkompetenz, ja Hilflosigkeit des Ministers und die vage Konzeption der Bildungspolitik der Regierung. Einige Gesprächssplitter dieses Treffens:
Der Minister (M) bedankt sich für die internationale Unterstützung, auch für die Unterstützung der europäischen Gewerkschaften und bittet diese fortzusetzen. Nicaragua befindet sich in einer äußerst schwierigen wirtschaftlichen und sozialen Lage, wovon auch der Bildungsbereich betroffen ist. Die Bildungsreform des Landes kann nur mit Hilfe von außen gelingen.
Das Ministerium forciert die Ausbildung der Lehrer/innen für die Grund- Sekundar- und Sonderschulen. Die nichtausgebildeten "empiricos" erhalten Fortbildungen.
Gegenwärtig werden in Nic. täglich zwei neue Schulen gebaut.
José-Antonio (JA): Das sind alles alte Schulen, die sonst einstürzen würden!

Eva Maria Stange (EMS): Beschreibt die laufende Projekt-Unterstützung der GEW und die über die Bildungsinternationale (BI) laufenden Maßnahmen. Betont wird die Koppelung der beabsichtigten Entschuldung an die Verpflichtung zur Investition der freiwerdenden Gelder in die Bildung. Sie fragt nach der Erfüllung der für die Entschuldung notwendigen Kriterien und den Programmen zur Bekämpfung des Analphabetismus (Verpflichtung nach der Konferenz von Dakar).

M: Bis 1979 ging es dem Land sehr gut, das Geld war stabil, wir konnten exportieren, die Gehälter der Lehrer/innen waren hoch, die Bildung hatte Qualität. Nach 79 kam es zu einem Niedergang, dessen Auswirkungen wir heute noch spüren. Nicaragua ist das zweitärmste Land des Kontinents. Viele Kinder gehen tatsächlich nicht zur Schule. Die jetzige Regierung tut viel, um die Lage auch auf dem Bildungssektor zu verbessern. Wir wollen die öffentliche, obligatorische und für die Eltern kostenfreie Schule. Privatunternehmen unterstützen unsere Schulen. Ohne Schuldenerlass jedoch kommen wir nicht voran. Die Regierung tut alles, um den Schuldenerlass zu erreichen. Alemán hat versprochen, bei Schuldenerlass die Gelder ins Erziehungs- und Gesundheitswesen zu investieren und den Analphabetismus in den nächsten 10 bis 15Jahren zu beseitigen. Die Altlasten früherer Regierungen und die Folgen von Naturkatastrophen halten uns am Boden.

EMS: Nach 1979 wurde die Analphabetismusrate deutlich gesenkt, seit 1990 ist sie wieder stark gestiegen. Man kann doch nicht alles am Jahr 1979 festmachen.

M: Die Zunahme des Analphabetismus kommt vor allem durch das Bevölkerungswachstum.
Er ruft jetzt noch einen Berater (MB) dazu: Wir haben die Analphabetenrate in städtischen Gebieten von 23% auf 19% gesenkt, in ländlichen Gebieten von 46% auf 35% (1993-98).

José-Antonio: 2000 Lehrer/innen haben die Schulen verlassen, weil sie von dieser Arbeit ihre Familien nicht ernähren können. In Costa-Rica sind 45% der Hausangestellten Lehrerinnen aus Nicaragua.

Der BI-Vertreter (aus Costa Rica) drückt mit deutlichen Worten seine Besorgnis über die Negativentwicklung des Bildungsbereichs aus; nicht nur in Nicaragua ist diese Tendenz zu verzeichnen. Er fordert die Einbeziehung von ANDEN und aller gesellschaftlich relevanten Kräfte in Entwicklung einer tatsächlichen Reform des Bildungswesens.

EMS: Schuldenerlass kommt nur, wenn Nicaragua zuverlässig die Verwendung der freiwerdenden Gelder für Bildung und Gesundheit garantierten kann. Welche Garantien gibt die Regierung?

MB: Die Abwanderung von Lehrern ist kein neues Problem. Die Regierung arbeitet an einem Bildungsgesamtplan für die nächsten 15 Jahre. Die Beteiligung aller ist beabsichtigt. Wir wollen eine Dezentralisierung der Schulverwaltung und die Autonomie der Schulen. Lokale Instanzen werden die Entscheidungsbefugnis haben. Bezüglich des Schuldenerlasses weist er auf die o.g. Versprechungen des Präsidenten hin.

EMS: Wir konnten die Umsetzung der Autonomie selbst sehen und sie stellt sich für uns als ein Rückzug des Staates aus der Verantwortung für die Schulen dar. Dies erfolgt zu Lasten der Eltern (Schulgeld, Zeugnisgeld etc). Wir sehen hierin eine schleichende Privatisierung.

MB: Jedes neue Projekt hat am Anfang mit Schwierigkeiten zu kämpfen. Fehler wurden gemacht. Eine Revision des Projektes der Schulautonomie steht an. Das Ministerium gibt sehr wohl eine bestimmte Summe für den Unterhalt der Schulen aus, den bezahlen beileibe nicht nur die Eltern. Kein Kind darf von der Schule verwiesen werden, weil die Eltern nicht bezahlen können. In Ausnahmefällen übernimmt bei Bedürftigen das Ministerium die anfallenden Kosten.

Gespräch mit Dr.Vilma Nuñez, Menschenrechtsorganisation CENID
Dr. Vilma Nuñez, CENID-Vorsitzende, Juristin, früher Mitglied der FSLN-Regierung
Zum Bildungsbereich: Das Bildungswesen ist in einer katastrophalen Verfassung, viele Kinder gehen überhaupt nicht zur Schule, viele kommen unterernährt. Es fehlen Schulen und Lehrer/innen. Zur Einweihung einer neuen Schule wird immer ein großer Medienrummel veranstaltet. Das CENID besuchte nach einem solchen Rummel die Schule: Es stand zwar ein Gebäude, es gab aber dort keine Lehrer.
Die Autonomie der Schulen wird deren Qualität sowie die Chancen und Rechte der Kinderverschlechtern
Behinderte Kinder: Es existiert eine kleine Abteilung für Sonderpädagogik im Ministerium, sonderpädagogisch qualifiziertes Personal fehlt jedoch. Das Ministerium will die Integration Behinderter an den Primarschulen. ANDEN fordert die Ausbildung von Fachkräften und entsprechende Bedingungen an der Primaria.
Die Unterstützung behinderter Kinder geschieht weniger durch den Staat als vielmehr durch Nichtregierungs- und Elternorganisationen. Bekannt ist das Behindertenprojekt "Los Pepitos" oder die "Organisación de Mujeres Descapacitadas". Es gibt einen bedeutenden Prozentsatz von Behinderten, die durch Krieg und Mangelernährung geschädigt wurden. Mehr als 300 Frauen sitzen nach Rückenmarksanästhesie im Rollstuhl. Bezüglich der Arbeitsintegration existiert schwerste Diskrimination. Zunehmend organisieren sich Behinderte und fordern ihre Rechte ein.
Straßenkinder: Zwischen 600.000 und 1 Mio. Kinder leben auf der Straße, ohne Zuhause.
Die Regierung führte über die Medien eine von UNICEF finanzierte Kampagne gegen Kinderarbeit durch, ohne für die Kinder und die Familien gleichzeitig konkrete Hilfsprogramme oder Alternativen anzubieten. Gleichzeitig erlaubte das Arbeitsministerium die Mitarbeit von Kindern bei der Kaffeeernte.
Die Politik der Regierung fordert unendlich viele Opfer unter Kindern und Jugendlichen.

Der Pakt zwischen PLC und FSLN: In Nicaragua hat das Wort Pakt einen sehr schlechten Beigeschmack. Schon der Diktator Somoza arbeitete mit Pakten. Voraussetzung für solche Pakte zwischen Regierungs- und Oppositionsparteien waren immer a) eine korrupte Regierung in der Krise und b) eine unfähige Opposition. Auf dem Weg eines Paktes mit der Regierungspartei hat die Opposition noch nie in der Geschichte Nicaraguas die Wahlen gewonnen.
Der Pakt Alemán/Ortega signalisiert eine tiefe Regierungskrise und er hat Elemente, die schlimmer sind als bei früheren Pakten: Früher waren die Parteien keine Parteien, sondern kleine Eliten. Die FSLN war aber eine Partei des Volkes, eine Massenbewegung. Die Leitung der FSLN hat sich vom Volk, von der Basis abgespalten und betreibt eine Politik, mit der sie hofft, eine kleine Spitzengruppe an die Macht zu bringen. Gleich nach den Wahlen 96 ging Daniel Ortega ins Privathaus Alemáns, obwohl er am selben Tag öffentlich den Wahlbetrug reklamiert hatte. Damals begann die Vorbereitung des Paktes. Dabei geht es natürlich um die Aufteilung von Pfründen. Beispiele:
Die wichtigsten Staatsfunktionen wurden zwischen beiden Parteien aufgeteilt. Der oberste Rechnungshof wurde zerschlagen, da er gewagt hatte, Alemán der Korruption zu bezichtigen. Der Leiter des Rechnungshofes wurde kurzerhand abgesetzt und eingesperrt. PLC und FSLN teilten sich die Funktionen im Rechnungshof auf.
Im obersten Wahlrat und in den lokalen Wahlräten wurden die Posten handverlesen zwischen PLC und FSLN verteilt. Die Wahlorgane sind daher eben nicht unabhängig.
Im November 2000 stehen Kommunalwahlen und im November 2001 nationale Wahlen an. Eigentlich sollten zu den Kommunalwahlen im Herbst nur zwei Parteien zugelassen werden. Erst nach Protesten des diplomatischen Korps, der Weltbank und des IWF werden wohl doch noch andere Parteien kandidieren können.
Derzeit läuft die Einschreibung in die Wählerlisten. Dazu müssen die Bürger ins Wahlbüro ihres Wohngebietes gehen, dort wird nachgesehen, ob sie im Wählerverzeichnis stehen, erst dann erhalten sie die Wahlberechtigung. Da insbesondere auf dem Lande viele Menschen überhaupt nicht bei der Gemeinde gemeldet sind, tauchen sie auch nirgendwo in einer Liste auf. Für die Eintragung im Wahlbüro ist eine Frist von nur drei Tagen, sollten da irgendwelche Korrekturen notwendig sein, wird es allein zeitlich sehr eng. Heute morgen hatte Dr. Nuñez das für sie zuständige Wahlbüro aufgesucht, um sich ins Wählerverzeichnis einzuschreiben. Sie stand in keiner Liste. Jetzt hat sie zwei Tage Zeit, sich um die Klärung der Angelegenheit zu kümmern. Sollte sie als kritische Menschenrechtskämpferin an der Wahlteilnahme gehindert werden? Wahlkreisgrenzen wurden kurzfristig geändert, um unliebsame Kandidaturen unmöglich zu machen.
Für die anstehenden Wahlen bestehen größte Befürchtungen hinsichtlich Transparenz, Chancengleichheit und Garantie des Wahlrechts.
Der Pakt PLC/FSLN stellt für den Rechtsstaat einen großen Rückschlag dar. Es gibt in Nicaragua keine Opposition mehr. Nur noch die Gewerkschaften stellen eine Kraft dar, die unabhängig handeln und die Interessen der Bevölkerung verteidigen kann. Die Gewerkschaften sind die derzeit einzige Oppositionskraft im Land.

Dr. Nuñez bittet uns daher die GEW dringend, die Gewerkschaft ANDEN weiterhin zu unterstützen.

Kindertagesstätte "Hermandad Sindical ANDEN-GEW" in Juigalpa
Juigalpa liegt im Departement Chontales. Die Region lebt von der Rinderzucht (Fleisch und Milchproduktion), etwas Reis- und Maisanbau. Juigalpa hat 55.000 Einwohner.
Es existieren nur 3 Kindertagesstätten, eine im SOS-Kinderdorf, eine von der Herbert-Gmeiner-Stiftung und die ANDEN-KITA. Eine KITA kann in Nicaragua offensichtlich nur bestehen, wenn die Mittel dafür aus dem Ausland kommen. Staat und Gemeinden finanzieren diese Einrichtungen nicht. Unterstützung für die Verpflegung der Kinder kommt auch aus einem internationalen Hilfsfond. Gegenwärtig werden 36 Kinder von 1 Monat bis zum 6. Lebensjahr betreut. Das CDI (Centro Desarrollo Infantil) sind der Kindergarten für Kinder von 0 bis 4 Jahren und die Vorschule (5. und 6. Lebensjahr). Die Schule beginnt dann im 6. Lebensjahr.

Zwischen ANDEN in Juigalpa und der Gewerkschaftsföderation in Chontales gibt es immer wieder Schwierigkeiten. Ein Problem stellen die Besitzverhältnisse der Immobilie in Juigalpa dar. Der Grund und Boden und das auf ihm stehende Gewerkschaftshaus gehören der Föderation. Zahlt ANDEN Juigalpa Miete? Wie verhält es sich mit den neu errichteten Gebäuden und Gebäudeteilen? Gehören diese ANDEN Juigalpa? Gibt es diesbezüglich Verträge zwischen Juigalpa und Chontales? Fragen die bei und nach unserem Besuch aufgetaucht sind und brieflich geklärt werden müssen. Es wird gegenwärtig ein neuer Raum gebaut. In ihn soll eine 1. Klasse Primaria kommen. D.h. doch wohl, ANDEN in Juigalpa gründet eine Grundschule.
Nach dem Rückzug der bisherigen Leiterin des CDI, die gleichzeitig hauptamtlich im Vorstand von ANDEN in Juigalpa war, ist diese Stelle unbesetzt. Nach dem Arbeits- und Gewerkschaftsrecht darf die Leiterin einer Bildungseinrichtung nicht gleichzeitig im Vorstand einer Gewerkschaft sein. Gegenwärtig leitet der Gesamtvorstand von ANDEN Juigalpa die KITA kommissarisch. Nach den Vorstandswahlen Ende Juli wird eine neue Lösung gesucht. Mit unseren rund 10.000.- DM jährlich wurden die Gehälter des gesamten KITA-Personals, also auch der Leiterin finanziert. Derzeit läuft die Leitung ehrenamtlich, bezahlt werden zwei Erzieherinnen und eine Wirtschafterin, die auch das Mittagessen kocht. Was geschieht mit dem nun freien Leiterinnengehalt?

Schulbesuche
Landschule "Nera La Ceiba" bei León: eine der Partnerschulen Hamburgs, sie liegt 8 km außerhalb in der heißen Ebene. Es sind keine eigentlichen Dörfer, die in dieser Ebene liegen sondern weit verstreute Bauernhäuser (-hütten) und kleine Ansiedlungen. Das bedeutet, alle, die zu dieser Schule kommen haben einen weiten, beschwerlichen Weg. Die Straße von León dorthin ist nicht geteert und führt mehrfach durch tief ausgewaschene, derzeit fast trockene Flussbetten. Die Schule liegt auf freiem Feld unter riesigen Bäumen. Der Bau wurde aus Hamburg finanziert, die Einrichtung von der Weltbank. Die Schule erhebt von den Eltern keine Beiträge. Auch diese Schule will das Erziehungsministerium (MED) mit Druck und Versprechungen dazu bringen, autonom zu werden. Bislang hat sie sich geweigert. Der Schulleiter ist ANDEN- und FSLN- Mitglied. Bis zum nächsten Jahr will das MED alle Schulen in sog. autonome Schulen transformiert haben. Was Autonomie bedeutet konnten wir am Beispiel des Sekundarschule in León erfahren.

Sekundarschule in León:
León ist die zweitgrößte Stadt Nicaraguas, Universitätsstadt mit vielen altehrwürdigen Kolonialhäusern und Kirchen. Eine große Zahl der Häuser ist bestens renoviert. Das Geld hierfür ist nicht im Land erwirtschaftet, sondern kommt von Nicaraguanern, die im Ausland leben oder lebten. Ein Teil der Miami-Nicas ist zurückgekehrt. Hamburg ist Partnerstadt Leóns.
Die Schule, welche wir besuchen, heißt "Instituto Nacional del Occidente", kurz INO. Das Zentrum besuchen 3.100 Schüler/innen. Die Schule führt zum Bachillerato (Abitur). Die Eingangsstufe (7. Klasse) hat 10 Parallelklassen, in einer Klasse sitzen rund 60 Schüler/innen. Schüler vom 11. bis zum 21. Lebensjahr werden hier unterrichtet. Das heißt, es finden auch Erwachsenenkurse statt. Es wird wie an den meisten Schulen in Nicaragua in drei Schichten gearbeitet: vormittags, nachmittags und abends. Die Schule ist schon seit 1993 autonom. Uns führt zunächst der Verwaltungsdirektor der Schule, der "Schulmananger". An der Schule unterrichten 60 Lehrkräfte. Die Gebäude, in den 60er-Jahren errichtet, sind weitgehend in desolatem Zustand. Die gesamte Lichtanlage ist defekt. Wasser tropft durchs Dach, die einstmals sicher vorbildlichen naturwissenschaftlichen Räume sind kaum mehr zu benutzen. Das Gespräch wird mit der Direktorin in deren kleinem Büro fortgesetzt.
Diese öffentliche Schule, die sich 1993 als eine der ersten im Lande für die Autonomie entschieden hatte, beklagt heute deren verheerenden Auswirkungen: Die Finanzmittel, welche das Zentrum zugewiesen bekommt, reichen gerade mal aus, um den Lehrkräften die Gehälter ausbezahlen zu können, und dies geschieht oftmals mit Verzögerung. Mittel für Unterhalt, Instandhaltung und alle sonstigen Ausgaben der Schule kommen ausschließlich aus dem von den Eltern monatlich erhobenen "freiwilligen" Schulgeld von 10 Cordoba pro Schüler (ca.1,80 DM). Auch für Prüfungsarbeiten, Zeugnisse u.ä. werden die Eltern zur Kasse gebeten. Kein Wunder, dass viele Kinder der Schule fern bleiben, fehlt den Familien häufig schon das Geld für die Ernährung, wie soll dann noch das Schulgeld, und sei es auch noch so niedrig, bezahlt werden können. Dieses Finanzierungssystem der Schulen zwingt sie auch, möglichst viele Schüler/innen in eine Klasse zu pferchen. Je mehr Schüler/innen in einer Klasse, um so ökonomischer.
Der Staat zieht sich aus der Verantwortung für die Schulen zurück.
Das INO in León ist heute entschiedener Kritiker der Autonomie von Schulen.

Immer weniger junge Menschen lassen sich für die Sekundarschulen ausbilden, da sich ihnen die Frage stellt, warum so viel in eine Universitätsausbildung investieren, wenn man hinterher vom Gehalt nicht leben kann. Die Mehrzahl der Lehrkräfte in der Secundaria in Nicaragua sind sog. Empiricos, das sind Lehrer/innen ohne Ausbildung (in der Primaria sind nur 1 % Empiricos).

Hausbauprojekt für durch den Wirbelsturm Mitch Geschädigte in Tipitapa:
Auf einem großen Areal stehen neu errichtete Häuschen unterschiedlicher Bauart, aus Stein, Holz, Blech und Pappe, fertige und halbfertige Häuser. Alle wurden mit internationaler Hilfe gebaut. Durch den Heinrich-Rodenstein-Fond der GEW wurden 21 Häuser aus Stein für betroffene Lehrer/innen errichtet. Sie sind alle noch nicht fertig, da die Finanzierung der Zinkblechdächer ungeklärt ist. Es war hierfür staatliche Hilfe in Aussicht gestellt. Wahrscheinlich muss aber auch dabei die GEW helfen. Ungefähr 600.- DM pro Dach werden veranschlagt.

Sonstige Informationen und Eindrücke

Nicaragua ist nach Haiti das zweitärmste Land des amerikanischen Kontinents. Armut und Elend sind alltäglich sichtbar.
In krassem Kontrast stehen demonstrativ dargestellter Reichtum und Luxus einiger weniger im Land. Im Supermarkt "La Colonia" in Managua, der internationalen Standart hat, gibt es frisch gepressten, eisgekühlten Orangensaft in Kanistern jeder Größe, spanischen Wein und schottischen Whisky, Getränke und Produkte aus aller Herren Länder. Offenbar gibt es auch genügend Kundschaft dafür.
In Managua sind riesige dreispurige Kreisverkehranlagen entstanden mit großen Brunnen oder einer hohen Heiligenfigur in der Mitte. Um den Platz herum stehen enorme, z.T. sich drehende und nachts beleuchtete Reklametransparente für Cola, Banken, Automarken oder Versicherungen. Mehrere Superluxushotels sind entstanden, u.a. ein Holiday Inn, ein Palasthotel. Sie stehen meist in einem eingezäunten und bewachten Areal, in dem sich auch Nachtbars, Restaurants und Geschäfte befinden. Aus der Hauptstadt heraus führt jetzt auf 1/3 der Strecke nach Masaya eine dreispurige Autobahn, deren Mittelstreifen begrünt und beleuchtet ist. Die neuen übergroßen Tankstellen der Weltmarken haben modernsten Standart. Die Mineralölsteuer ist auch die Haupteinnahmequelle des Staates. Der Verkehr hat in der Hauptstadt extrem zugenommen. Abends zwischen 5 und 7 Uhr herrscht absoluter Verkehrsstau auf den Magistralen Managuas. Es fahren im Westen Nicaraguas viele Busse, meist ausgediente, gelbe US-Schulbusse. Selten sieht man noch LKW und Kleinlaster (camionetas), mit Menschentrauben auf der Ladefläche.
Präsident Arnoldo Aleman hat sich neben dem Nationaltheater, direkt am Ufer des Managuasees einen Präsidentenpalast errichten lassen, der in seinem Luxus durchaus Präsidentenvillen in hochentwickelten Ländern in den Schatten stellt
Geldtausch findet immer noch auf der Straße statt, z.B. auf dem Parkplatz des o.g. Supermarktes. Der Geldwechsler mit Namenskärtchen und Handy tauscht 1 US $ in 12,65 Cordobas. Auf den Titelseiten der Tageszeitungen (La Prensa und El Nuevo Diario) sind die Wechselkurse nach amtlichem, parallelem und schwarzem getrennt, täglich angegeben.

Der Platz vor der Ruine der alten Kathedrale ist jetzt als Park mit einem Brunnen angelegt, der alte Nationalpalast ist renoviert und ein Kulturpalast geworden. Der Park mir dem Carlos Fonseca-Mausoleum (einer der FSLN-Gründer) besteht noch und ist gepflegt.
Der große Platz der Revolution wird gegenwärtig umgestaltet und wird nicht mehr für die jährlichen Revolutionsfeierlichkeiten der Sandinisten am 19. Juli zu nutzen sein. In seiner Mitte steht ein großer Obelisk mit einem Kreuz auf der Spitze. Der Bürgermeister Managuas ließ den Obelisken zum Preis von 10 Mio Cordoba, das sind mehr als 1,5 Mio. DM, aufstellen. Der Platz, der dem Petersplatz in Rom nachempfunden ist, trägt jetzt den Namen: "Platz des Glaubens - Johannes Paul II."!

Parteien: Bis auf die Sandinistische Partei (FSLN) können sich die anderen Parteien, auch die regierende Liberalkonstitutionelle Partei (PLC) von der Mitgliederzahl her nicht auf eine Massenbasis stützen.
Am 19. Juli nahmen wir in Managua an den Revolutionsfeierlichkeiten der FSLN in dem Dreieck zwischen Theater Ruben Darío, Platz der Revolution bzw. Johannes Paul II und Carlos Fonseca-Mausoleum teil. Tausende und abertausende Menschen, Familien, viele Jugendliche. Überall Musik und die rot-schwarzen Fahnen und Halstücher der Sandinisten. Fast macht es den Eindruck als habe die Revolution eben erst gesiegt. Auf der Bühne Grußreden der Vertreter/innen von linken Parteien Lateinamerikas, besonderer Jubel bei der Ansprache der Vertreterin Cubas. Daniel Ortega hält eine lange, sehr kämpferische Rede mit starken, revolutionären Klängen. Auf weite Strecke ist der Eindruck von Revolutionsfolklore, mit fast religiösem Wallfahrtscharakter nicht zu unterdrücken. Wie sehr steht dieses revolutionäre Gehabe der sandinistischen Führung doch in Widerspruch zu ihrem politischen Handeln. Der zwischen FSLN und der Alemán-Partei geschlossene Pakt, mit dem sich beide Parteien erhoffen, nach den Kommunalwahlen im November 2000 und den nationalen Wahlen im November 2001 die Macht im Land unter sich aufteilen zu können, und viele Verflechtungen auch der FSLN in die schrecklich korrupten Strukturen stehen mit ihrem undemokratischen Charakter so sehr im Gegensatz zu den hier geführten Reden. Das Land hat keine demokratische Tradition. Die kurze Zeit zwischen 1979 und 1990 reichte nicht, um demokratische Strukturen aufzubauen und zu festigen. Es scheint bei allen Parteien nach mehr oder weniger dem gleichen Muster zu laufen: zugreifen, wenn man die Möglichkeit hat, nehmen, was sich nehmen lässt und an die Wand drängen, wer im Weg steht.

Kinderarbeit: Überall finden sich Kinder, die Kaugummis, Zigaretten, Zeitungen, Getränke, Früchte u.a.m. verkaufen, oder die an den Ampeln die Autoscheiben putzen wollen. Am Pazifikstrand in Pochomil werden die Strandbesucher ständig von Kindern mit ihren Verkaufsangeboten umlagert. Ein Mädchen, dünn und ungesund aussehend, das mit kleineren Kindern Muschelketten am Strand verkauft, gibt sein Alter mit 14 an und sagt, es habe schon selbst zwei Kinder.

67% der ökonomisch aktiven Bevölkerung verdingt sich auf dem sog. grauen Arbeitsmarkt, dem informellen Sektor, d.h. die Menschen haben mal hier einen Job für einen Tag, versuchen an dieser Straßenecke etwas zu verkaufen, mal an einer anderen, finden vielleicht mal eine Beschäftigung für mehrere Tage. Keine festen Beschäftigungen und natürlich keine Arbeitsverträge, keine Tarife, Sozialversicherungen oder ähnliches.

Erdbeben
Eine Woche vor unserer Ankunft hat ein Erdeben die Dörfer in der Region um die Laguna de Apoyo und Teile der Stadt Masaya zerstört. Zum Glück hat es nur wenige Tote gegeben. Mehrere Kinder sind umgekommen. Beim Versuch mit dem Kleinbus auf der unbefestigten Straße zum Dorf Diriomitio in dieser Region zu kommen, dort unterstützt die Initiativer aus Ebersberg bei München seit Jahren Projekte, fallen die vielen weißen Fähnchen am Straßenrand auf. Sie weisen auf zerstörte Häuser hin. Am Fuße des Vulkankegels der Laguna de Apoyo haben die Don-Bosco-Schwestern ihre Schule für die jetzt Obdachlosen als Zuflucht geöffnet. Die Menschen beklagen sich, dass sie bislang keine Hilfe des Staates oder von anderer Seite erhalten haben. Sogar die Plastikplanen oder Bleche, unter denen sie jetzt hausen, mussten sie sich selbst besorgen. Nach kurzer Strecke müssen wir die Fahrt abbrechen, Straße und Wege sind unpassierbar. Das bedeutet viele Ansiedlungen und Dörfer sind nach wie vor von der Außenwelt abgeschnitten. In Masaya, wo insbesondere die ältesten, aus Lehmsteinen im 19. Jahrhundert gebauten und z.T. unter Denkmalschutz stehenden Häuser zerstört worden sind, haben staatliche Stellen mit einer Bestandsaufnahme der Schäden begonnen. Die Feuerwehr (das Feuerwehrauto trägt deutsche Aufschrift) ist dabei, baufällige Gebäude einzureißen. In den Höfen und Gärten sind meist in Nachbarschaftshilfe unter Planen Schlafstellen eingerichtet.

GEW-Nicaragua-Delegation 2000, Bericht Albrecht Sylla, 09.09.00,