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Die dritte Säule des Altermondialismus - Für global handlungsfähige Gewerkschaften als soziale Gegenmacht von Bernd Riexinger und Werner Sauerborn

Voraussetzung für eine soziale Weltwirtschaftsordnung sind Gewerkschaften, die dem global agierenden Kapital Paroli bieten können, indem sie sich selber global organisieren und zu einer starken und solidarischen Gegenmacht werden.

Von einer solchen Vision sind die heutigen Gewerkschaften in Deutschland wie in anderen Ländern weit entfernt. In den letzten 20 Jahren, in denen zunehmend absehbar war, wie stark nur national agierende Gewerkschaften durch die ökonomische Globalisierung in die Enge getrieben werden würden, haben die Gewerkschaften ihr Problem unterschätzt und ignoriert ("Globalisierung gab es schon immer"), es klein geredet (betroffen seien lediglich die schlecht qualifizierten ArbeitnehmerInnengruppen), haben mit einem Schlingerkurs zwischen Opposition und Anpassung an die Standortlogik versucht zu überleben und haben auf ihre vor allem globalisierungsbedingten Organisationskrisen im wesentlichen betriebswirtschaftlich mit Fusionen zu riesigen aber national begrenzten Multibanchengewerkschaften ( statt multinationaler Branchengewerkschaften) reagiert.

Das Prinzip der Gewerkschaften ist, die Konkurrenz all derer, die auf den Verkauf ihrer Arbeitskraft angewiesen sind, zu begrenzen, möglichst auszuschließen. Globalisierung betrifft nicht nur Waren- und Finanzmärkte, sondern auch die Arbeitsmärkte: es konkurrieren die Opel-ArbeiterInnen in Rüsselsheim und Bochum gegen die in Schweden, Portugal, Polen und Detroit. In Standortrankings konkurrieren deutsche mit schottischen und indischen IT-SpezialistInnen, usw. Auf einem zunehmend global bestimmten Arbeitsmarkt können national begrenzt handelnde Gewerkschaften letztlich nicht funktionieren, weil sie ihr Prinzip des Konkurrenzausschlusses nicht in Kraft setzen können.

Zwar sympathisieren die Gewerkschaften und viele GewerkschafterInnen mit der globalisierungskritischen Bewegung, unterstützen Aufrufe und Kampagnen und Demonstrationen. Ihr eigentliches Gewicht aber, das einer ökonomischen Gegenmacht, bringen sie in diese Bündnisse nicht ein, weil sie es nicht haben, bzw. im Begriff sind es zunehmend zu verlieren.

Umgekehrt ist die globalisierungskritische Bewegung auf handlungsfähige Gewerkschaften angewiesen. Neben den beiden Säulen der Antikriegsbewegung und der globalen Ökologiebewegung braucht der Altermondialismus als dritte Säule Gewerkschaften, die im ökonomischen Zentrum des globalen Kapitalismus eine Gegenmacht darstellen.

Ziel grenzüberschreitend agierender Gewerkschaften ist nicht die Wahrung von Besitzständen der ArbeitnehmerInnen der einen Länder (Deutschland oder Europa) gegen oder auf kosten der Interessen der ArbeitnehmerInnen anderer Länder, sondern der Kampf gegen einen globalen Dumpingwettbewerb, bei dem alle nur verlieren können - die ArbeitnehmerInnen hie wie dort, genauso wie die Erwerbslosen und Prekarisierten hier wie dort.

Europa ist für die Gewerkschaften ein ambivalenter Zwischenschritt. Einerseits ist Europa ein Schritt aus er nationalen Befangenheit, andererseits droht es (s. Lissabon-Strategie) eine neue Plattform für eine erweiterte Form der Standortkonkurrenz zu werden. Maßstab für die Organisationsentwicklung der Gewerkschaften sind nicht nationale oder supranationale Grenzen, sondern die Branchengrenzen, innerhalb derer die Konkurrenz stattfindet.

Der Weg der Gewerkschaften zu einer in diesem Sinne handlungsfähigen Organisationsform ist weit und voller Hürden, als da sind: ganz unterschiedliche nationale Organisationsmodelle sowie Sprach- und Kulturbarrieren, aber er ist unausweichlich. Offen ist, ob es dabei eine Kontinuität aus den jetzigen Apparaten und Organisationen heraus geben wird oder ob sich neue Gewerkschaften, hervorgegangen aus apparatkritischen globalen Netzwerken oder eine Mischform aus beidem entwickeln werden.

ATTAC international jedenfalls muss die Rolle des Förderers und Forderers und vielleicht auch etwas des Geburtshelfers global organisierter Gewerkschaften einnehmen.

In den Gründerjahren, im Verlauf der Entwicklungsgeschichte des Kapitalismus, wie auch jetzt unter den Bedingungen des global entfesselten Kapitalismus gilt: funktionsfähige Gewerkschaften bringen den Kapitalismus an seine Grenze: entweder er erweist sich als anpassungsfähig in dem er Mindeststandards an sozialer Gerechtigkeit und Sozialstaatlichkeit entwickelt oder er scheitert an diesem Kriterium. Dann werden die Gewerkschaften zu einem wichtigen Brückenkopf in eine postkapitalistische Gesellschaft.

Insofern kann sich die stärkere Wahrnehmung der Bedeutung von Gewerkschaften für eine alternative Weltwirtschaftsordnung - und vor allem für den Weg dorthin - beruhigend und vermittelnd auf das Spannungsverhältnis zwischen reformorientierten GlobalisierungskritikerInnen und GlobalisierungsgegnerInnen bzw. AntikapitalistInnen innerhalb von ATTAC auswirken.

Stuttgart , 24. Oktober 2004

 

Bernd Riexinger ist Geschäftsführer des Verdi-Bezirks Stuttgart; Werner Sauerborn ist Referent für Grundsatzfragen des Verdi-Landesbezirks Baden-Würtemberg.

 

Ausführlich befindet sich ihr Text "Gewerkschaften in der Globalisierungsfalle" im Sozialismus-Supplement 10/2004 (40 Seiten, 4,20 Euro, www.sozialismus.de/socialist/)